Eingemachtes - Lichtkunst von Rolf Sachs


Rolf Sachs - Rita, 2004, Galerie Watson, Hamburg, Photo Ralf Gellert


„Das ist Rita“, sagt Alice Hinrichs und deutet auf eine Büste, die aussieht wie ein Frauenkopf ohne Gesicht. Die roten, lockigen Menschenhaare sind schulterlang, obwohl die Skulptur gar keine Schultern hat, und umhüllen eine Lichtquelle. Dieses Leuchten von Innen verleiht dem Kunstwerk etwas Gespenstisches. „Einige Besucher finden Rita unheimlich“, erzählt die junge Hamburger Galeristin lachend. „Ich finde, sie hat auf eine nostalgische Art etwas Glamouröses.“ Ein Geist aus den goldenen Zwanzigern? Nein, eine Skulptur aus dem Jahr 2004.

„Mein Friseur von nebenan hat Ritas Locken vor der Vernissage ein bisschen in Form gebracht“, erzählt Alice Hinrichs und man hört die gute Laune in ihrer Stimme. Der Grund dafür: Die Ausstellung Eingemachtes von Rolf Sachs, die man noch bis Ende September in der Milchstraße in Pöseldorf sehen kann, ist die Eröffnungsschau ihrer neuen Galerie Watson. Und auf die hat sie lange gewartet.

Dabei gibt es Watson eigentlich schon viel länger. Ein paar Straßen weiter hieß ein Antiquitätenladen Antik Watson. „Er gehörte meinem Patentonkel Branko Goricki,“ sagt Alice Hinrichs. Für alteingesessene Hamburger kein Unbekannter. Denn Goricki war bis zu seinem Tod im letzten Jahr auch Inhaber des legendären Restaurants , direkt nebenan.

Alice kaufte den Erben das komplette Interior ab, fand für rund 1800 Art-Deco-Stücke ein neues Zuhause und stellte in den leeren, unrenovierten Räumen Objekte der Kölner Lichtkünstlerin Regine Schumann aus. Als dann wenige Wochen später der neue Besitzer der Brücke das Ladengeschäft mietete, musste sie neue Räume finden.

Rolf Sachs Captured Drops

Die Enttäuschung war groß – aber nur von kurzer Dauer. Denn Alice Hinrichs und ihr Geschäftspartner Thomas Holthoff entdeckten bald eine neue Ausstellungsfläche, in der Nähe der Außenalster, in einem ehemaligen Restaurant. „Ein Verwandter von mir hatte hier auch schon ein Lokal“, erklärt sie. Ein Satz, der typisch für die 29-Jährige ist, denn ihre Familie lebt schon viele Jahrzehnte in Hamburg und hat die Stadt geprägt. Auch ihr Vater, Thomas Wegner, der wie sie als Kunsthändler arbeitete.

Sein Weisses Haus war die erste kommerzielle Kunstgalerie für Video- und Medienkunst in Deutschland und zu seinen Künstlern gehörten internationale Stars wie Nam June Paik und James Turell. Als er 2016 starb, kuratierte Alice Hinrichs eine Ausstellung mit Installationen seiner Sammlung als Hommage an ihren Vater. Nach einem Bachelor in BWL am Kings College, einem Kulturmanagement-Master an der Bocconi in Mailand, einem Praktikum bei Christie’s, Berufserfahrung in einem digitalen Auktionshaus und als Kuratorin bei verschiedenen Kunstfestivals tritt sie nun ganz in seine Fußstapfen.

Gegründet hat sie Watson zusammen mit Thomas Holthoff, einem gebürtigen Rheinländer und ehemaligen Lufthansa-Manager, der im Hamburger Westen schon seit über zehn Jahren eine Galerie führt. „Mit der Galerie Watson betreten wir beide Neuland“, so Alice Hinrichs. „Er mit Lichtkunst, ich als Galeristin.“

Eine mutige Entscheidung, in einer Zeit, in der sich die internationale Kunstwelt auf Malerei, Illustrationen und vielleicht noch Fotografie als Mainstream geeinigt hat. Was ist es, was Alice Hinrichs an den leuchtenden Werken so fasziniert? „Wer Lichtkunst zeigt, schafft neue Räume, transformiert seine Umwelt und ermöglicht Erlebnisse, die es sonst nicht gäbe. Mir gefällt es, die Wahrnehmung herauszufordern.“

Rolf Sachs, Neon Immersion (2004) Foto Jone Schardt

Rolf Sachs - Eingemachtes, Galerie Watson, Hamburg, Photo Ralf Gellert

Letztes Jahr ist ihr das als Kuratorin des Kunstfestivals Evi Lichtungen in Hildesheim gelungen, als sie Straßen, Plätze und Kirchen mit unterschiedlichen Lichtinstallation bespielen ließ. „Das würden wir auch gerne in Hamburg tun“, schwärmt sie.

Nun zeigt sie aber erst einmal mit der Retrospektive der Lichtkunst von Rolf Sachs etwas kleinere Formate. Die Skulptur Rita ist nur eins von 17 leuchtenden Werken des Schweizer Künstlers, Designers und Bühnenbildners. Zu sehen sind unter anderem seine Neonlicht-Versuchsanleitungen, Schattenfotografien sowie die Arbeit Captured Drops, ein alter chinesischer Käfig, in dem 52 Swarovski-Kristalle funkeln: „Quasi ein introvertierter Kronleuchter“, erklärt Alice Hinrichs.

Ebenfalls beeindruckend: eine Leuchte, deren Lampenschirm aus einem weißen, ein Quadratmeter großen Tuch – „das bekommt jeder Schweizer Soldat, wenn er zur Armee geht“, so Rolf Sachs – besteht, auf dem mit rotem Faden gestickt steht: „Leben und leben lassen.“ Oder die Installation Back to Basics aus 18 emaillierten Zinneimern. Sie hängen in unterschiedlichen Höhen von der Decke und in ihrem Inneren sorgt LED für gleichmäßiges Licht.

„Diese Arbeit ist typisch für Rolf Sachs“, sagt Alice Hinrichs. „Er nutzt alltägliche Gegenstände und stellt sie auf den Kopf, verwendet sie so, dass man sie kaum wieder erkennt.“ Genau wie seine buchstäbliche Interpretation einer Tischleuchte: ein vierbeiniges, leuchtendes Tischchen. Und so reiht sich bei der Besichtigung der Ausstellung ein lichter Moment an den anderen – Kunst, die erleuchtet.


Rolf Sachs - Eingemachtes
23. Juni bis 23. September 2023

Galerie Watson / Milchstraße 2 /20148 Hamburg
Donnerstag bis Samstag 13-19 Uhr

Verena Richter

Verena Richter hat Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte studiert, schreibt für Magazine wie SALON, HÄUSER sowie IDEAT und ist nach Umwegen über München und Hamburg endlich in Berlin angekommen.

Zurück
Zurück

Ugo Rondinone - Sunrise. East.

Weiter
Weiter

Museo Sa Bassa Blanca - Eintauchen in Kunst, ferne Epochen und fremde Welten