Fashioning Masculinities - Über neue und alte Männlichkeit


Omar Victor Diop, Jean-Baptiste Belley, 2014. Courtesy MAGNIN-A Gallery, Paris. (c) Omar Victor Diop


Männlichkeit in der Mode, was ist das überhaupt? Wie Designer und Künstler sie immer wieder konstruiert und rekonstruiert haben, zeigt die gemeinsam mit Gucci kursierte Ausstellung Fashioning Masculinities in Londoner Victoria & Albert Museum.

Als der Popsänger Harry Styles 2019 als erster Mann allein auf dem Cover der US-amerikanischen Vogue erschien, war klar, dass es Aufregung geben würde: Denn Styles posierte auf dem Titel des wichtigsten Modemagazins in einem mit Spitze besetzten Kleid, also in sogenannter Frauenkleidung. Das ließ Ewiggestrige erwartbar nach einem Comeback männlicher Männer krähen, sorgte aber ebenfalls bei progressiveren Geistern für Unbehagen: Denn wie revolutionär ist es tatsächlich, wenn ein weißer Heterotyp, reich und berühmt noch dazu, also so ungefähr die privilegierteste Person dieses Planeten, mal für ein Fotoshooting in eine Abendrobe schlüpft?

Dass Harry Styles Kleid trägt, steht dennoch für eine größere Entwicklung: Wie (zumindest manche) Männer sich heute kleiden und wie zeitgenössische Designerinnen und Designer Herrenkollektionen gestalten, zeugt von einem Brüchigwerden der Geschlechtergrenzen. Männermode ist eben immer auch Ausdruck von Männlichkeitsvorstellungen. Das und vieles mehr kann man in der Londoner Ausstellung erfahren.


Installation view of Fashioning Masculinities at V&A, featuring looks by Harris Reed, Thom Browne and PRONOUNCE (c) Victoria and Albert Museum, London


Die Ausstellung präsentiert in drei Kapiteln rund 100 Looks und 100 Kunstwerke, die von Gegenwart und Geschichte der Männermode erzählen – und davon, wie durch Stil und Kleidung Männlichkeiten performt werden. Neben Outfits von bekannten Designern und aufstrebenden Modeschöpfern zeigt das Museum beispielsweise klassische Skulpturen, Renaissance-Gemälde, Fotografien und Filme. Und ja, das Kleid von Harry Styles kann man dort auch bewundern.

Im ersten Kapitel Undressed geht es insbesondere um den europäischen Mann: Gezeigt werden Archetypen nackter Männlichkeitsideale durch die Jahrhunderte hinweg. Knabenhafte, aber auch muskulöse, ja beinah unnahbar-heroische Männlichkeiten. Skulpturen wie August Rodins L’Age d'airain, Gipsabgüsse von Apollo von Belvedere oder Farnese Hermes werden zeitgenössischen Darstellungen des männlichen Körpers gegenübergestellt – ein Beispiel dafür ist die fotografische Arbeit von Anthony Patrick Manieri..

Im zweiten Kapitel unter dem Titel Overdressed wird dick aufgetragen – elitär, extravagant und dekadent -je nach Jahrhundert. Männliche Extravaganz in Brokat, Spitze, knalligen Farben, Seide, Samt, Blumenprints, Goldstickereien oder Federn. Zu finden ist hier nicht nur Harry Styles in leuchtend-blauem Samt in Gucci, sondern auch ein Porträt von Charles Coote mit reich verziertem Federhut und in einem glänzenden Stoff in Pink und Crème. Die Sektion Overdressed ist ein Feuerwerk in allen erdenklichen Farben, Schnitten und Materialien.

Im dritten Kapitel Redressed geht es um die konformen, gesellschaftlichen Aspekte in der Männermode - nüchtern und uniform. Im Zuge der Industrialisierung und des Kapitalismus war offensichtlich wieder so etwas wie eine Uniform gefragt, die die Kleidung von Männern und Frauen deutlich unterscheidbar machte.


Portrait of Prince Alessandro Farnese by Sofonisba Anguissola, c.1560. Courtesy of The National Gallery of Ireland

Thom Browne, SS20, look 10. Courtesy of Thom Browne

Alessandro Michele for Gucci, SS 2017, Look 13. Courtesy of Gucci

Wool coat and trousers, and silk top hat, United States, 1845-1853. © Victoria and Albert Museum, London


Zeitgenössische Designer wie Hedi Slimane, Tom Ford oder Alexander McQueen machen sich seit Jahren daran, den Anzug subversiv zu bearbeiten. Es gab ihn bereits in Leder, dekonstruiert oder rosa-kuschelig. Damit wird erneut gehörig an den Konventionen gerüttelt, wie Männermode und Männlichkeit auszuschauen haben.

Die Ausstellung Fashioning Masculinities - The Art of Menswear wurde von den beiden Kuratorinnen Claire Wilcox und Rosalind McKever in Partnerschaft mit Gucci erarbeitet. An vielerlei Orten spürt man den Duktus und die Haltung des Modehauses Gucci unter der Führung von Kreativdirektor Alessandro Michele. So ist etwa das Finale der Ausstellung ein Verweis auf eine mögliche Zukunft, in der Zuschreibungen und Erwartungen an Männlichkeit und deren Mode befreit sein sollen.

Hier kommen wir wieder zurück auf Harry Styles’ massgeschneidertes Gucci-Kleid mit Jacke für die Dezemberausgabe 2020 der amerikanischen Vogue von Alessandro Michele. Lassen wir an dieser Stelle kommentarlos Gucci-Kreativdirektor Alessandro Michele sprechen: «... es ist an der Zeit, einen Mann zu feiern, der frei ist, Selbstbestimmung zu praktizieren, ohne soziale Zwänge, ohne autoritäre Sanktionen, ohne erstickende Stereotype.” Let`s do it!


Fashioning Masculinities: The Art of Menswear
19. März bis 06. November 2022

Victoria & Albert Museum / Cromwell Road / London SW7 2RL
Täglich 10-17.45 Uhr


Anne Harting

Chefredakteurin und Herausgeberin

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