Katharina Grosse - Spectrum without Traces
„Das wäre ein tolles Atelier“, rief Katharina Grosse aus, als sie das Gebäude im Hinterhof der Potsdamer Straße betrat. Und recht hat sie: Die weißen Räume der Galerie Max Hetzler sind lichtdurchflutet, erstrecken sich auf 1300 Quadratmetern und haben eine Decke, die teilweise 18 Meter hoch ist. Allerdings müsste man, sollte Katharina Grosse hier tatsächlich ihre Sprühpistole auspacken, danach renovieren. Denn die Berliner Künstlerin kennt beim Malen keine Grenzen. Wenn sie arbeitet, befestigt sie gleich mehrere Leinenstoffe, also Bilduntergründe, an den Wänden und sprayt darauf mit großen Gesten und viel Schwung Farbschichten und Verläufe. Dass sie dabei im wahrsten Sinne des Wortes übers Ziel hinausschießt und deshalb das gesamte Atelier bemalt, stört sie nicht. Im Gegenteil: Es ist Programm. Grosses Kunst ist raumgreifend.
Tatsächlich sind es vor allem ihre riesigen Installationen, mit denen die Künstlerin das Publikum in den letzten Jahren begeistert hat. Zum Beispiel 2021 mit einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof, wobei „Umgestaltung des Hamburger Bahnhof“ es wohl treffender beschreibt. Sie flutete nicht nur den Museumsboden der historischen Halle mit Farbe, sondern verwandelte auch das gesamte hintere Gelände inklusive Gebäudefassade in ein Gemälde. Innen und außen wurden eins.
Die Ausstellung Spectrum without Traces bei Max Hetzler hingegen widmet sich kleineren Formaten, wenn man ein Bild von fast zehn Metern Länge – es hängt im zweiten Stockwerk und hat genug Platz, um wirken zu können – als kleiner bezeichnen kann: „Uns geht es darum, zu zeigen, dass Katharina Grosse vor allem Malerin ist und auch eine große Leidenschaft für die klassische Leinwand hat“, erklärt Honor Westmacott, Pressechefin der Galerie. In den Bildern türmen sich Farbknäuele zu Wolken und peitschen Farbbänder durch den gemalten Raum. Es ist, als blicke man durch ein Fenster und würde Stürmen beim Toben zusehen. Aber wer kämpft hier mit wem? Das Grün mit dem Blau? Die Farbe mit der Form? Das Vorher mit dem Nachher? Die Künstlerin mit dem Werk?
Die Sprühpistole entdeckte Katharina Grosse früh für sich. Jenseits der Leinwand arbeitete sie damit zum ersten Mal 1998, als sie im Berner Kunstmuseum eine Raumecke grün sprayte. Eine vergleichsweise kleine Intervention, aber für Grosses weiteres Werk bahnbrechend. Seitdem besprüht sie einfach alles. In der Arbeit Das Bett überzog sie ihr Schlafzimmer inklusive Bett, Decken und Kissen mit leuchtenden Farben. Später dann verfallene Häuser, Parklandschaften und Strände. Was ihre Installationen jenseits der Farbigkeit eint? Die Flüchtigkeit. Sie verschwinden wieder. In den Gemälden auf Leinwänden passiert allerdings genau das Gegenteil: die Zeit wird an-, der Moment festgehalten.
Weil die Bilder erst vor Ort auf Keilrahmen gezogen wurden, sah auch die Künstlerin ihre Arbeiten in der Galerie Max Hetzler zum ersten Mal jenseits ihres Ateliers, im Kontrast zur weißen Wand – und war begeistert. Die Farbigkeit der Gemälde, die alle im letzten Jahr entstanden sind, beschränkt sich auf sechs Pigmente: Rosa, Rot, Gelb, Blau, Grün und Violett. Gemischt werden sie lediglich durch die Überlagerung auf der Leinwand. „Typisch sind außerdem diese sich ständig wiederholenden Schlaufen“, sagt Honor Westmacott. Endlosschleifen. Kunst und Leben als ewige Wiederholung?
Die Sprühtechnik befeuert Grosses raumgreifende Formensprache, weil die Künstlerin die Leinwand nicht berühren muss, wie es mit dem Pinsel der Fall wäre, sondern viel freier und körperlicher agieren kann. Die Farbpistole vergrößert Grosses Gesten und vielleicht auch das, was sie innerlich bewegt. Oder entdeckt man als Betrachtende vielmehr die eigenen Gefühle im Farbstrudel, weil er alles mitreißt und durcheinanderwirbelt? In diesen Arbeiten drehe sich alles um die Farbe, heißt es im Katalogtext, „und ihre Fähigkeit, vertraute Formen zu verbinden, aber auch zu dematerialisieren – präsent zu bleiben, aber ohne Identität.“ Klingt komplex, wer aber vor Grosses Bildern steht, weiß genau, was gemeint ist.
Katharina Grosse - Spectrum without Traces
17. März – 30. April 2023
Galerie Max Hetzler / Potsdamer Straße 77-87 / 10785 Berlin
Dienstag bis Samstag 11-18 Uhr