ArtView mit Maurin Dietrich
Für den Kunstverein München (km) ist 2023 ein ganz besonderes Jahr, denn er feiert sein 200-jähriges Bestehen. Zusammen mit dem gesamten Team des km stellt sich Maurin Dietrich der herausfordernden Aufgabe, dieses wichtige Jubiläum angemessen zu begehen. Seit drei Jahren lenkt die Kunst- und Literaturwissenschaftlerin als Direktorin die Geschicke des Kunstvereins und ist damit erst die zweite Frau in dieser Position.
Der km war für Maurin Dietrich, die zuvor in Berlin am KW Institute for Contemporary Art gearbeitet und den Projektraum Fragile mitgegründet hat, schon länger ein Ort von großem Interesse. Der Reiz des Standorts München im Vergleich zu Berlin liegt für die gebürtige Freiburgerin in der gewachsene Struktur der Institutionen, die für sie auch das große Interesse der breiten Öffentlichkeit an den bestehenden Angeboten erklärt. Anders als in Berlin hätte es zudem schon weitaus früher deutlich mehr Institutionen für zeitgenössische Kunst gegeben, die noch dazu schon immer wesentlich breiter aufgestellt gewesen seien.
Die Frage, wie das Jubiläum des Kunstverein München begangen wird, nimmt derzeit den zentralen Platz in Maurin Dietrichs Gedanken ein. Wie bringt man diese 200-jährige Geschichte, die geprägt ist von vielen ersten institutionellen Einzelausstellungen internationaler Künstler, mit einer lokalen Geschichtsschreibung zusammen? Dass man geradezu forensisch nachskizzieren kann, wie sich der km über diese 200 Jahre entwickelt und verändert hat, findet die Direktorin besonders spannend. Einzig die Struktur sei über all die Jahre sehr ähnlich geblieben. Damals wie heute wird der Kunstverein von seinen (aktuell beinahe 1.800!) Mitgliedern getragen, wodurch er eine relativ große politische und ökonomische Unabhängigkeit genießt.
Für die Arbeit an der Publikation zum Jubiläum nimmt die Hinterfragung des Archivs daher eine zentrale Stellung ein. „Die letzten drei Jahre haben wir die Wege der Überlieferung abgeschritten, um in der Jetztzeit anzukommen. Wir haben Fragen an das Archiv, die uns als Zeitgenossen in der Jetztzeit beschäftigen, mit unzähligen Akteuren verhandelt.“, erklärt die Kunsthistorikerin. Das Bekenntnis zum „Gesetz“ lasse die prägenden Theorien des zwanzigsten Jahrhunderts über das Archiv problematisch erscheinen, bereits 1969 hätte Michel Foucault konstatiert: „Das Archiv ist zunächst das Gesetz dessen, was gesagt werden kann.“
Hier knüpft Maurin Dietrich ihr Interesse an: „Was, wenn das, was sich weigert, vergessen zu werden, der Sprache entkommt? Oder: Was, wenn es eine Sprache spricht, die das System des Gesetzes nicht anerkennt? Wenn man sich nur damit beschäftigt, die Lücken zu füllen, hat man bereits ein Problem, da man den Rahmen intakt lässt. Die letzten Jahre waren deswegen geprägt von unzähligen Gesprächen mit Menschen, aber auch vom Studium diverser Dokumente, die über Menschen erzählen, die (noch) nicht Teil der Geschichte des Kunstvereins sind. Deswegen verweisen wir in diesem Jahr auch auf all das, was sich der Sprache entzieht und trotzdem Teil der Erzählung ist.“
Deutlich wird in diesen Überlegungen, welche Relevanz Maurin Dietrich der Archivarbeit und damit dem Freilegen der Historie des km beimisst. Um das Archiv öffentlich zugänglich und für Veranstaltungen nutzbar zu machen, wurde daher eigens ein für alle Besucher zugänglicher Archivraum als fester Bestandteil der Institution geschaffen.
Die Ausrichtung des km hat sich in den letzten 200 Jahren teilweise radikal verändert: Jede:r Direktor:in hat naturgemäß ihre/seine ganz eigene Handschrift, die den Verein für die eigene Amtszeit und darüber hinaus prägt. Der km war immer schon ein Ort, der sich primär dafür zuständig gefühlt hat, junge Künstler: durch institutionelle Einzelausstellungen zu unterstützen.
Maurin Dietrich möchte diesen Fokus, gemeinsam mit ihrem Team, noch weiter ausbauen. In diesem Sinne will sie gerade den Künstlern, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihres Alters aus Institutionen und Ausstellungen ausgeschlossen werden, eine Bühne bieten. Denn auch in der Kunstszene ist die Gleichberechtigung noch lange nicht etabliert, schließlich ist auch Maurin Dietrich erst die zweite weibliche Direktorin in der Geschichte des km.
Seit ihrem Amtsantritt 2019 hat Maurin Dietrich das Programm des Hauses um weitere Formate jenseits der üblichen Ausstellungen erweitert. Neben den Einzel- und Gruppenausstellungen wurde eine Residency für internationale Schrifsteller, Journalisten und Künstler initiert, deren Praxis auf Schreiben beruht. Eine Summer School brachte in den letzten zwei Jahre unzählige Akteure zusammen, um neue Formen kollektiver Wissensproduktion zu diskutieren.
Hauptkriterium bei der Auswahl der Ausstellungen, Medien und Veranstaltungen des km sei für sie immer die aktuelle Notwendigkeit und deren thematische Schwerpunkte. Oftmals, gibt sie zu, sei es ein langwieriger, aufreibender Prozess, bis klar sei, wann der richtige Zeitpunkt gekommen sei, um Kunst und Raum zu kontextualisieren. Auch wenn die Ausstellungen meist international geprägt sind, legt Maurin Dietrich ein besonderes Augenmerk darauf, lokale Künstler zu unterstützen, zumal die Lebenshaltungskosten in München bekanntermaßen horrend und geeignete Räumlichkeiten rar sind. Die zweijährigen Residency Peripheral Alliances am Ammersee bot über 35 Kunstschaffende 2021/22 einen Lebens-, Arbeits- und Ausstellungsraum.
Welche Kunst oder welche Künstler mag die 33-jährige besonders?
Eine Frage, die sie erwartungsgemäß nicht beantworten kann. Allerdings gibt es eine Künstlerin, die sie schon sehr lange begleitet und für die sie 2012 als Assistentin gearbeitet hat – Ilit Azoulay. Sie hat Maurin Dietrichs Verständnis von künstlerischer Praxis, Archivarbeit und auch von weiblichen Begehren und Wünschen stark mitgeprägt.
Was begeistert die Direktorin privat, außerhalb des km?
Ein Spaziergang an der Isar macht ihr zu jeder Jahreszeit Spaß. Speziell im Sommer wird der Flaucher zu einem besonderen Ort, um allein oder mit Freunden die Seele baumeln zu lassen. Im Sommer springt sie nach der Arbeit gerne in den Eisbach im Englischen Garten. Dort befindet sich auch die weltbekannte Eisbachwelle, an der zu jeder Jahreszeit gesurft wird und die sogar internationale Surfer anlockt.
In der Monacensia-Bibliothek im Hildebrandhaus nimmt sich Maurin Dietrich gerne eine Auszeit. Hat man genug in den zahlreichen Literaturnachlässen gestöbert, kann man sich im angeschlossenen Café mit einem guten Buch niederlassen und den Tag genießen.
Außerhalb Münchens hält sie sich unter anderem gerne in der malerischen Landschaft rund um den Tegernsee auf. Die Herzogliche Fischzucht in Wildbad-Kreuth, wo es laut Maurin Dietrich den besten und günstigsten Fisch gibt, ist für sie immer einen Besuch wert.
Möchte Maurin Dietrich in München gut essen gehen, tut sie das besonders gerne im Mitani, das ihrer Meinung nach das beste japanische Restaurant der Stadt ist. Kein Wunder, dass hier viele japanische Gäste ihre Mahlzeit einnehmen.
Der Musiksender ihrer Wahl ist Radio 80000. Der nichtkommerzieller Online-Sender aus München, der Musik jenseits des Mainstreams bringt, versteht sich als Plattform, um den kulturellen Austausch durch Musik, Dialog und Veranstaltungen in ganz Deutschland zu fördern.
Zu guter Letzt noch zwei Kunstinstitutionen in München, die Maurin Dietrich wegen ihres tollen Programms besonders schätzt: Die Galerien Deborah Schamoni und Nir Altman, die sich beide der Contemporary Art verschrieben haben. Die eine eher der Malerei, die andere vor allem skulpturaler Kunst.
Herzlichen Dank für das Gespräch, liebe Maurin Dietrich!