ArtView mit Carolin Sangha
Sie ist Creative Director des Designlabels Schönbuch und entwickelt unter dem Namen Apartment 8 Interior-Lieblingsstücke. Sie leitet die Münchner Agentur casa 57, in der sie Creative Consulting, Product Design und Corporate Design-Konzepte anbietet, und hat das Fashionlabel casa nata gegründet. Hinter all diesen Titeln, Unternehmen und Projekten steht Carolin Sangha, eine Kosmopolitin, Freidenkerin und Kreative, die einen ganz besonderen Blick für Ästhetik hat.
München, Neuhausen. Beim Schlendern durch das bodenständige Wohnviertel wird klar, dass hinter den Fensterfronten der vielen Restaurants Landesküchen aus aller Welt zu Hause sind. Mit einem leichten Knick in der Altbaufassade zieht auch die Hausnummer 10 in der Elvirastraße neugierige Blicke auf sich. Vor allem die von (Interior)Design- und Fashionliebhabern. Die Räume beheimaten unter anderem die Schönbuch- und casa nata-Entwürfe von Carolin Sangha. Wer genauer hinsieht, entdeckt zudem, dass sich die Münchnerin hier ihren eigenen kleinen Arbeitskosmos errichtet hat.
„Hallo, ich bin Carolin, komm‘ rein!“. Als Carolin Sangha die Tür zu ihrem Atelier öffnet und mir Zutritt zu ihrem Universum gewährt, fühle ich mich ein bisschen wie Alice im Wunderland. Bereits im ersten Raum verfestigt sich mein Eindruck: Hier möchte ich bleiben. Solange es geht. Die Welt von Carolin Sangha erstreckt sich über das gesamte Erdgeschoss: Verschiedene Zimmer, getaucht in eine individuelle Farbwelt, die ähnlich wie ein Register, das unterschiedliche Vorgänge voneinander trennt, jeweils einer bestimmten Funktion aus dem vielfältigen Aufgabenspektrum der Designerin gewidmet sind. Vom Kreativraum über das Büro bis zum Ausstellungszimmer.
Ich danke Carolin, dass sie mich auf eine bunte, spannende und beeindruckende Reise mitgenommen hat. Sowohl durch ihre Räumlichkeiten als auch durch ihre Lebensgeschichte. Und diese Reise beginnt mit einem Gespräch über ihre Erinnerungen an den Umzug von Deutschland nach Indien.
Indien – von prägenden Sinneseindrücken
„Indien hat mich wahnsinnig geprägt, ich merke das immer mehr“, erzählt die Tochter eines indischen Vaters und einer deutschen Mutter. Mit vier Jahren wanderte Carolin zusammen mit ihrer Familie nach Indien aus, mit dem Schiff von Triest mit Stopp in Südafrika. Eine große Abenteuerreise, so hat sie den Aufbruch damals als Kind empfunden, deren Ende der Anfang eines komplett neuen Lebens mit einer neuen Sprache, Englisch, war. Vor allem der Mix der Aromen, der Gerüche – von Gewürzen bis zu lieblichen Düften wie Jasmin – hat Carolin geprägt. „Die Nase wird in Indien stark gefordert“, erzählt sie. Die Düfte bringt sie auch heute noch von ihren Reisen mit nach Hause, in Form von Kerzen, Räucherstäbchen oder Parfüm. Gleich im Anschluss schwärmt Carolin aber auch von den Farben Indiens. „Ich glaube, deshalb habe ich so eine starke Verbundenheit zu Farbe – obwohl ich eigentlich gar nicht der kunterbunte Typ bin und mich auch gerne schwarz oder nur weiß, also in Nicht-Farben, kleide. Aber ich brauche Farbe in meinem Umfeld. Auch zu Hause, zwar nicht an den Wänden, aber in Form von farbigen Gegenständen.“
Farbe bei schönbuch und casa nata
„Schönbuch ist Farbe! Das macht die DNA der Marke aus.“ Carolin Sangha ist bei dem Unternehmen für die Farbkonzepte verantwortlich – auch dafür, wie die Kollektionen beispielsweise im Showroom präsentiert werden. Für eine Kooperation mit Little Greene, entwickelte die Kreativdirektorin einen Fliederton, der als Hintergrundfarbe zur Exposition der Möbelneuheiten auf der Messe in Mailand eingesetzt wurde. Auf ihrem Schreibtisch liegen Stifte und Farbmuster, der Anfang für neue Schönbuch-Ideen.
Auch für casa nata wählt Carolin Sangha die Farben sehr bewußt aus. Die feinfühlig verknüpften Farben müssen für sie „unheimlich harmonisch in ihrer Kombination sein“. „Es gibt zum Beispiel einen Korallenton und ein wahnsinnig schönes Burgundrot – die beiden Töne habe ich miteinander assoziiert, die gehören für mich zusammen. Und dann gibt es einen milchigen Pinkton und ein kräftiges Orange, ein Sonnengelb mit Wüstensandfarbe, die kombiniere ich gern. So gehe ich an Farbe ran – sie braucht immer eine Bestimmung und muss für mich einen harmonischen Sinn ergeben.“
Immer etwas Neues
Im Anschluss an ihr Mode- und Grafikdesignstudium startete Carolin ihre Karriere in der Redaktion der Zeitschrift freundin. Beworben hatte sie sich zuvor sowohl beim Burda-Verlag in München als auch bei Jil Sander in Hamburg; das Hamburger Label hatte sie als Beispiel für ihre Diplomarbeit zum Thema „Wie bringt man die Herrenschneiderei in die Damenmode“ ausgewählt. Von beiden Unternehmen erhielt sie eine Zusage – Hamburg konnte als Stadt punkten, aber Carolin entschied sich dafür, etwas Neues zu lernen und damit für München. „Das waren spannende Jahre, ich bin viel gereist und hab in einem tollen Team gearbeitet. Aber nach einer halben Dekade war es dann an der Zeit für etwas anderes.“ Sie bekam die Möglichkeit, frei als Artdirektorin für eine Werbeagentur – spezialisiert auf Modekunden – zu arbeiten, in der sie unter anderem auch ihr Grafikwissen einsetzen und gestalterisch tätig sein konnte. „Das war ein großer Lernprozess für mich, da die Agentur klein war und man alles selbst gemacht hat.“ Von dort aus ging es nach New York und danach nach Miami „wo es schöner und wärmer war“. Und wo Carolin noch einmal anderen, neuen kreativen Input bekam.
Inspirationsquellen
„Viele sehen die Natur als Inspiration“, sagt Carolin, „für mich ist es die Kunst“. „Ich gucke auch hier ganz genau auf Farben, Linien, Strukturen, wie ist das Kunstwerk gemalt und welche Materialien wurden miteinander verbunden.“ Gerade war die Designerin in der Ausstellung von Joan Jonas im Haus der Kunst und schwärmt: „Das war wie ein Flash. Ganz, ganz toll. Und so persönlich. Es sind so viele Disziplinen und Themen miteinander vereint, das hat mich wahnsinnig inspiriert.“ Carolin ist offen für alle Epochen und Stile, betont aber ihre Begeisterung für die alten holländischen Maler: „Ich mag das fast ein bisschen Düstere, das trotzdem auch Licht zeigt, gern. Aber im Prinzip ist es zeitgenössische Kunst. Gerne viel mit Farbe und Fläche. Es muss nicht immer abstrakt sein, aber mir gefällt es, wenn Dinge abstrahiert oder Emotionen dargestellt werden. Die Kunstkuratorin und Galeristin Martina Tauber, eine enge Freundin von mir, hat ein Auge für internationale Künstler – bei ihr kommt es nicht auf die Epoche an, sie vereint alle unterschiedlichen Kunstdisziplinen und durch sie habe ich ganz tolle Künstler kennengelernt.“ Kunst, erklärt Carolin, war schon in ihrem Elternhaus ein wichtiges Thema. „Aber jetzt, durch meine Designarbeit, habe ich noch eine ganz andere Verbindung zu ihr bekommen.“ Eine weitere Inspirationsquelle für Carolin sind Bücher. Am liebsten liest sie Geschichten, die in einer Zeit spielen, mit der sie sich identifizieren kann. Unter anderem hat sie sich intensiv mit den Biografien der Bauhaus-Vertreter, speziell der weiblichen, beschäftigt. Und wenn sie beim Verschenken eines Buchs den Nagel auf den Kopf trifft, freut sie sich ganz besonders.
Kunst zu Hause
„Unser Zuhause ist eigentlich mehr wie ein Sommerhaus. Wir haben zwar eine Wohnung, aber die ist im obersten Stock: sehr hell und mit Möbeln ausgestattet, die man vielleicht eher in einem Sommerhaus findet.“ Die Kunst ist entsprechend ausgewählt: Palmen prägen die Wohnung, egal ob als abstraktes Bild oder als Skulptur, es gibt Grafiken von tollen jungen indischen Künstlern. „Es kann aber auch ein schöner Teller sein, der an der Wand hängt, oder Strohkunst, die ich in Spanien gefunden habe. Ich mixe“, beschreibt Carolin ihren Stil. Dabei hat sie immer einen persönlichen Bezug, eine ganz enge Verbindung zu den Dingen, zum Beispiel, wenn sie sie von einer Reise mitgebracht hat. „Damit es dann noch einen Teil von mir bekommt, überlege ich mir beispielsweise ganz genau, welche Rahmung es sein soll.“ Zusätzlich ist es ihr wichtig, dass sie den Künstler kennt oder sich zumindest intensiv mit seinem Werk auseinandergesetzt hat.
Carolin unterwegs
„Wenn ich reise, liegt mein Fokus in erster Linie darauf, dass ich die Stadt aufnehme. Dabei schaue ich stark auf Architektur, auf Farben, auch die der Häuser. Das inspiriert mich immer sehr. Wenn man sich damit erst einmal beschäftigt, erkennt man, dass es in so vielen Städten ein Farbkonzept gibt. Nehmen wir zum Beispiel Lissabon. Dort trifft man auf einen verwaschenen Pinkton, der historisch belegt ist. Darauf habe ich dann mal genauer geachtet und mir die tollsten Pink-Shades zusammengesammelt. Das Pink wird häufig mit Dunkelgrün verbunden, als Außenrohr oder Gulli.“ Und wohin reist Carolin am liebsten? Reizt sie eher das Bekannte oder stehen unbekannte Orte bei ihr höher im Kurs? „Ich liebe es, an dieselben Orte zu reisen, weil ich da immer wieder etwas Neues entdecke. Wenn ich in eine Stadt etc. zurückkomme, suche ich nach den Veränderungen. Außerdem ist es doch schön, wenn es sich vertraut anfühlt, Restaurants ebenso wie die Leute. Genauso spannend finde ich es aber auch, neue Orte zu erkunden.“ Auf Carolins Liste steht aktuell Helsinki, auch wenn sie zugibt, dass sie für die Kälte gar nicht so gemacht ist. Sie liebt Skandinavien, vor allem sind es die Menschen, die sie in den Norden ziehen.
Room with a view
Worauf achtet Carolin, wenn sie aus ihrem Fenster in der Elvirastraße guckt? „Menschen! Ich schaue mir die Person an und gucke erst einmal, was sie anhat. Weil ich es so interessant finde! Dann versuche ich mir vorzustellen, wo der Mensch gerade hingeht und was er eigentlich macht. Und schließlich interessieren mich die Emotionen der Vorbeigehenden. Manche sind fröhlich und lachen, manche gehen gebückt, manche stehen auch vorm Fenster und winken – das ist fast wie Livefernsehen.“ Und was möchte Carolin sehen, wenn sie im Urlaub ist – Stadt, Meer oder Berge? „Eindeutig das Meer! Nur das Meer. Ich finde es ganz schön, mal in den Bergen zu sein, aber ich bin kein Wander-Freak. Ich habe viel mehr Bezug zum Meer, es gibt mir das Gefühl der Grenzenlosigkeit. Und das Geräusch! Ich war einmal in Kerala, in einem Resort mit historischen Hütten in einem Palmenwald auf einem Felsen. Am Abend habe ich die Holztür aufgemacht und man hat nur das starke Meer gehört, wie es den Felsen hochhallte. Das war das tollste Geräusch. Das Meer hat viele Geschichten zu erzählen.“
Was Carolin noch verraten hat …
… sie hat eine Sammlung alter Kimonos, sie mag ihre architektonische, geradlinige und dennoch schmeichelnde Form
… für sie ist es wichtig, dass sie ganz viele unterschiedliche Sachen parallel machen kann
… eine Zeit lang hat Carolin ihre Farbideen beim Häkeln oder Stricken ausgelebt – aktuell ist der haushaltsübliche Deckenbedarf jedoch gestillt
… sie macht viel Yoga und meditiert – sie hat schon früh von ihrem Vater gelernt, dass man sich innerlich in Balance und wieder in Einklang bringen muss
… sie ist ab nachmittags am kreativsten; die Ideen entstehen auch zu anderen Zeiten, aber am Nachmittag und Abend bringt sie sie am besten zu Papier
… sie liebt die Stille, hört aber auch gern Musik – von den Rolling Stones über Jazz bis zu indischer Musik, je nach Stimmung
… sie liebt Bücher, hat nur leider zu wenig Ruhe dafür. Aber: Im Urlaub liest Carolin einen Roman nach dem anderen. Die Tage mit Lesen zu verbringen, ist für sie absoluter Luxus! Buchempfehlung: „Monacella“ von Kerstin Holzer
… je mehr sie reist, desto mehr schätzt sie München als „riesengroßes Dorf“. Denn München ist unaufgeregt und sicher und gibt Geborgenheit. Und man trifft immer jemanden und die Wege sind kurz