Hilma af Klint - Der Zeit voraus
Grisebach eröffnete seine Ausstellungsräume nach dem durch Covid19 bedingten Lockdown mit einer Ausstellung von Hilma af Klint, deren Vernissage noch kurz zuvor stattfand. Zum ersten Mal wurde in Deutschland das einzige überlieferte Selbstporträt gezeigt, dass Hilma af Klint von sich malte.
Kuratiert wurde die Ausstellung unter anderem von Julia Voss, deren Biografie Die Menschheit in Erstaunen versetzen: Hilma af Klint, Leben und Werk im Frühjahr bei Fischer erschien und die wir Ihnen hier neben dem aktuell im Hatje Cantz Verlag erschienen Bildband Hilma af Klint - Artist. Researcher. Medium vorstellen möchten.
Doch wer ist diese schwedische Künstlerin Hilma af Klint, die bereits 1906 abstrakte Werke schuf – mehrere Jahre vor der ersten Abstraktion Kandinskys? Trotz ihres bedeutenden Beitrags zur Geschichte der abstrakten Kunst ist das Œuvre af Klints, das über 1000 Gemälde, Aquarelle und Skizzen umfasst, oft noch unbekannt.
Ihre ungenügende Rezeption erklärt sich zum Teil aus den Vorgaben der Künstlerin selbst. Zu Lebzeiten förderte sie ausschließlich Ausstellungen ihrer figurativen, nicht aber ihrer abstrakten Arbeiten. Testamentarisch verfügte sie, dass dieser Teil ihres Schaffens erst 20 Jahre nach ihrem Tod öffentlich zugänglich gemacht werden darf und übergab ihren künstlerischen Nachlass in die Hände ihres Neffen Erik af Klint.
Groß, radikal, ihrer Zeit voraus – so lässt sich die Pionierin der abstrakten Malerei beschreiben. Sie hat die Malerei revolutioniert. Schon vor Kandinsky oder Mondrian malte die von der Anthrosophie und Mystik inspirierte Künstlerin abstrakte Werke, die durch ihre Farben und Formen zutiefst beeindrucken. Und sie war zugleich eine Frau von großer Freiheit und Zielstrebigkeit, die sich bewusst den Regeln des männlich dominierten Kunstbetriebs entzog.
Hilma af Klint ist 44 Jahre alt, als sie ihr Leben auf den Kopf stellt. Von der akademischen Malerei, in der sie ausgebildet wurde, wendet sie sich ab und beginnt, abstrakt zu arbeiten – in immer größeren Formaten. In den folgenden Monaten entstehen zahlreiche Serien, darunter der Zyklus Die Zehn Größten, dessen Bilder mehr als drei Meter in der Höhe messen. Hilma af Klint hält in ihrem Notizbuch fest: „Die Versuche, die ich unternommen habe, [...], werden die Menschheit in Erstaunen versetzen.“
Ihre Voraussage bewahrheitete sich spätestens 2018, als das Solomon R. Guggenheim Museum in New York eine große Retrospektive zu ihrem Werk eröffnete: Die Schau zog mehr als 600.000 Besucher an und stieg zur erfolgreichsten Ausstellung in der Geschichte des Museums auf.
Af Klint wusste, dass sie ihrer Zeit voraus war. Auf Basis umfangreicher Recherchen erzählt Julia Voss jetzt das ungewöhnliche Leben dieser Ausnahmekünstlerin, zerstört zahlreiche Klischees und Mythen und zeichnet zugleich das Bild einer Epoche, in der die weltpolitischen Umbrüche nicht nur die Malerei revolutionierten. Dabei mutet die Biografie oft eher einem Roman an.
Wer die Werke von Hilma auf Klint nach dem Lesen der Biografie im Original sehen möchte, dem sei eine Reise zur Ausstellung Hilma af Klint – Artist. Researcher. Medium ins Moderna Museet Malmö empfohlen. Wer in Zeiten wie diesen lieber daheim bleibt, dem sei der parallel zur Ausstellung bei Hatje Cantz erschienene Bildband gleichen Titels an Herz gelegt.
Mit einer wunderbaren Bildauswahl versinnbildlicht dieser aus unterschiedlichen Perspektiven die Frage, wie die Pionierin der Abstraktion durch ihre Malerei mit einer höheren Bewusstseinsebene in Verbindung trat und wie Spiritualität in af Klints Malerei, die materielle wie immaterielle Welt in eine malerische Sichtbarkeit übersetzte. Man spürt geradezu, wie sich Vergangenheit und Zukunft in Hilma af Klints Malerei in die Gegenwart verschieben, und die Stile, in denen af Klint malt, geradezu zu explodieren scheinen. Näher kann man der Künstlerin kaum kommen.
Hilma af Klint - Die Menschheit in Staunen versetzen
Julia Voss
S. Fischer Verlage
25 Euro
Hilma af Klint - Artist, Researcher, Medium
Hrsg. Iris Müller- Westermann
Hatje Cantz Verlag
48 Euro