HAGIOGRAPHIE BIOROBOTICA – Andreas Mühe hinterfragt
Im seinem neuen Werkzyklus Biorobotica geht der Künstler Andreas Mühe der fragwürdigen Bedeutung des Heldentums nach. In der dreiteiligen Ausstellung in der St. Matthäus Kirche am Berliner Kulturforum präsentiert Mühe seinen Blick auf die Menschen, die nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl ihren Einsatz als Biorobots fanden.
Als der Super-GAU in Tschernobyl passierte, befahl die sowjetische Staatsobrigkeit tausende Männer und Frauen zum Reaktor, denn Maschinen, die zuerst eingesetzt wurden, überstanden Hitze und Strahlung im Gebiet nicht. Also schickte man Menschen hinein; in Schutzausrüstungen, die wie aus fantastischen Science Fiction Szenen herausgeschnitten anmuten. In ihren Uniformen überleben die Biorobots für den Moment, Unzählige starben aber an den Folgen. Das unschöne Sterben scheint im offiziellen Staatsbild allerdings kaum auf, man spricht von Helden.
Diesen Helden gibt Andreas Mühe ein Gesicht. Er holt die namenlosen Akteure von Tschernobyl vor die Linse, indem er sie in originalgetreuen Kostümen nachstellt. Für die Ausstellung hat Mühe großformatige Fotos von zehn von ihm inszenierten Biorobots in Leuchtkästen in den Kirchenraum gelegt. Sie wirken wie aufgebahrt, die heldenhaften Posen werden durch Schutzanzüge, Uniformen, Messgeräte ins Absurde überführt. Als Altarbild dient das Foto einer sakrophargartigen Installation.
Mühe zeigt seine Protagonisten in Großaufnahme, lässt sie Haltungen einnehmen, die gewöhnlich den Helden der Geschichte vorbehalten sind. Nur die Gesichter sind schwarz verhüllt – ihr Schicksal wurde schließlich von der Obrigkeit bewusst vergessen und verschwiegen. In der Kirchenapsis, der zentralen Mitte, hängt an der Stelle des Altarbildes eine Arbeit, die ein leeres, nur mehr vom schweren, samtenen Stoff bedecktes Podest zeigt. Der Biorobot, der auf einem anderen Bild eben noch darauf zu liegen kam, ist verschwunden.
Ob er selbst gegangen ist oder weggeschafft, bleibt offen. - Mühe stellt damit die Frage nach dem Heldentum neu und führt in seinen Arbeiten vor, wie sehr das Ideal vom Helden im Sinne von Staat, Macht und Obrigkeit instrumentalisiert wird – und in welch starkem Kontrast dies zur schonungslosen Wirklichkeit steht. Selbst kirchliche Helden haben es nicht besser. Von einem Heiligen entweder der Tod oder zumindest ein Wunder gefordert.
Um den Totensonntag wird dann ein Bildwechsel zum zweiten Teil der Ausstellung vollzogen: Die Biorobots wandern nun als Bildtafeln an die Wände des Kirchenraums. Aus den Leuchtkästen leuchten „Weihnachtsbäume“, das christliche Motiv des traditionellen Familienfestes schlechthin. Die Werkgruppe ist eine künstlerische Rekonstruktion der Weihnachtsbäume, die Andreas Mühe von 1979—2016 selbst hatte.
Die stetig wechselnde Gestalt und Beschmückung der Tannen bildet den Lauf der Zeit und das Aufrechthalten von familiären Traditionen ungeachtet verändernder politischer Systeme ab und zeichnet nicht zuletzt auch ein persönliches Porträt des Künstlers. Mit dem warmen Licht der Weihnachtsbäume wird die Adventszeit als Zeit der Stille und Zusammenkunft eingeläutet und. Ein dritter Wechsel ist mit „Die Auskehrung“ betitelt und bildet ab Anfang Januar den Abschluss der drei Akte.
ANDREAS MÜHE -HAGIOGRAPHIE BIOROBOTICA
9. Oktober 2020 – 14. Februar 2021
Eine Ausstellung in drei Akten
1. Akt: 9.10.—19.11.2020
2. Akt: 26.11.2020—3.01.2021
3. Akt: 6.01.—14.02.2021
St. Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin-Tiergarten
Dienstag bis Sonntag 11-18 Uhr