Alice Springs – Die große Retrospektive zu ihrem 100. Geburtstag
Zum ersten Mal empfangen den Besucher der Helmut Newton Foundation nicht die fünf übergroßen Nudes von Helmut Newton, sondern eine Aufnahme von Alice Springs gerahmt von Zitaten von Helmut Newton und ihr selbst. Schon das allein ist ein gelungenes Statement wie Auftakt zu großen Retrospektive anlässlich des 100. Geburtstags von June Newton alias Alice Springs.
Eine ausgiebige Recherche im hauseigenen Archiv, inklusive die Überführung ihres gesamten Nachlasses und Bestandes aus der gemeinsamen Wohnung der Newtons im vergangenen Jahr, hat Kurator Matthias Harder einen neuen Einblick auch in das Schaffen von Alice Springs ermöglicht. Von den über 200 gezeigten Fotografien sind einige erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen und bargen auch Überraschungen für Harder selbst. Wie man es bereits von ihm aus den bisherigen Ausstellungen der Fondation kennt, spielt er erneut mit Überraschungsmomenten und präsentiert nach Themenbereichen auch Insidern ungewohnt Neues. Es ist bereits die dritte Ausstellung der Stiftung zum Werk von Alice Springs.
Nach seiner Flucht aus Berlin eröffnet Helmut Newton in den 40er Jahren ein kleines Fotostudio in Melbourne. In diesem lernte er die als June Brunell agierende Schauspielerin June Browne kennen, die ihm Modell stand. Aus den beiden wird ein Power Couple im Leben, wie auch vor und hinter der Kamera. 1948 folgt die Hochzeit, aus June Browne wird June Newton, die kritische und inspirierende Begleiterin der fotografischen Entwicklung Helmut Newtons. Sie folgt ihm nach Frankreich, beginnt zu malen und entdeckt auch ihre Liebe zur Fotografie.
Am Anfang des eigenen Œuvres als Fotografin stand eine Grippe Helmut Newtons. June Newton ließ sich von ihm die Handhabung von Kamera und Belichtungsmesser erklären und fotografierte 1970 in Paris ein Werbebild für die französische Zigarettenmarke Gitanes. Das Porträt des rauchenden Models wird der Startschuss für ihre neue Karriere der australischen Theaterschauspielerin. In der Folgezeit vermittelte ihr José Alvarez Aufträge für Werbeaufnahmen. Er war es auch, der 1983 ihren ersten Porträtband veröffentlichte.
June Newtons Stil zeichnet eine große Empathie für ihr Gegenüber aus – egal ob prominent oder nicht. Eine Mischung aus Einfühlung und Neugierde überträgt sich auf den Betrachter. Ihre Porträtierten schauen neugierig, offen und direkt in die Kamera. Ab 1970 arbeitet sie unter dem Pseudonym Alice Springs, da es in einer Familie nun „einen Newton“ geben kann. So jedenfalls die Legende.
In den Folgejahren holte Springs sich für ihre vorwiegend Porträtaufnahmen Autoren vor die Kamera, Fotografenkollegen wie Richard Avedon, Brassaï oder Robert Mapplethorpe, zudem Prominente wie Nicole Kidman, Isabelle Adjani, Vivienne Westwood, Liam Neeson oder Claude Chabrol. Ihre tiefe Kenntnis des Schauspiels, gleichzeitig auf und hinter die Fassade des menschlichen Ausdrucks zu schauen, lässt sie jeder Aufnahme ein neues und ungewöhnliches Abbild hinzuzufügen, dass die Aura des Porträtierten aufnimmt. Die meisten Aufnahmen entstehen im natürlichen Raum, die Porträtierten sind June oft freundschaftlich aber immer vertrauensvoll verbunden.
Abgerundet wird die große Werkschau von Porträts ihres Mannes, die häufig während seiner Shootings entstanden, die gemeinsam mit Newtons Porträts seiner Frau gezeigt werden. So schließt sich der Kreis gleich mehrfach, denn das Werk beider war auf vielfältigste miteinander verbunden.
Mit einer besonderen Überraschung wartet der June´s Room am Ende der Ausstellung auf. Er war eigentlich als kleines Apartment für Helmut und June Newton geplant. Das Paar hätte innerhalb ihrer Stiftung wohnen können, wenn sie Berlin besuchten. Doch er wurde zum Ausstellungsraum von June`s Werken oder denen befreundeter Künstler. Nun findet man hier posthum den Living Room der Newtons wieder. - Und wie so oft, bei den Newtons war nichts gewöhnlich. Achten Sie bei Ihrem Besuch besonders auf das Bild zwischen den Fenstern. Eine Malerei von Alice Springs, auf der wir den Geparden von einem ihren Porträts von Helmut Newton am Anfang der Ausstellung wiedersehen.
Alice Springs. Retrospektive
03. Juni bis 19. November 2023
Helmut Newton Stiftung / Jebensstraße 2 / 10623 Berlin
Dienstag bis Sonntag 11 bis 19 Uhr