Anselm Reyle - Paradise
Im Zentrum der Ausstellung Paradise mit Werken von Anselm Reyle in der König Galerie stehen drei freistehende, großformatige Skulpturen aus Edelstahl. Mit einer Höhe von fast sechs Metern dominieren sie den Raum. Trotz ihrer enormen Präsenz sind diese schlanken vertikalen Formate paradoxerweise aber gleichzeitig mit einer gewissen Unsichtbarkeit beladen: Poliert bis zur Spiegeloberfläche, scheint die Körperlichkeit des Stahls im umgebenden Raum zu verschwinden und sich in reiner Reflexion aufzulösen.
Vor allem die Verzerrungen und Verformungen durch unregelmäßige, sanft verlaufende Wellen auf der Oberfläche fesseln das Auge auf irritierende und faszinierende Weise. Einerseits resonieren die Skulpturen mit der vollen Kraft, die erforderlich ist, um sie aus Stahl zu formen (Reyle plant Verformungen präzise mit schwerem Baugerät), andererseits wirken sie auch beinahe immateriell in der räumlich-visuellen Erfahrung, die sie hervorrufen.
Die Inszenierung ist eine durch und durch sakrale, bei der Reyle bewusst eine kraftvolle Reflexion auf den Ausstellungskontext der St. Agnes Kirche und ihre Brutalismus-Architektur formuliert. Doch anstelle reiner Heiligkeit substituiert Reyle eine Art Pathos der Ambivalenz oder eine gewisse Hingabe an die Leere und lädt so zu ganz unterschiedlichen Interpretationen ein.
Reyle entwickelte die Skulpturen basierend auf seinen Folienbildern und deren Logik der ineinandergreifenden Reflexionen, sodass sie auch als riesige Folienstreifen betrachtet werden können, die frei im Raum stehen. Neben diesen Werken werden in Paradise auch neue Folienbilder gezeigt. Die charakteristische silberne Folie, ursprünglich ein alltägliches Material, das fernab der Kunst lag und eine Herausforderung für Geschmacksgewohnheiten darstellte, entdeckte Reyle Ende der 1990er Jahre im Schaufenster eines Berliner Dekorationsladens - eines von vielen solchen gefundenen Objekten, die die Grundlage vieler seiner Arbeiten bilden.
Er begann mit der Folie zu experimentieren und heute ist sie fast ein allgegenwärtiges Element in seinen Werken, in verschiedenen Modulationen und Kombinationen. Anfangs ging es darum, "glänzendes Material" zu verwenden, um eine Geste der abstrakten Malerei in einen skulpturalen, bildlichen Raum des Falzes zu übersetzen, was sich zuletzt in der Gruppe der Lazy Foils zeigt, bei der Reyle etwas dickere silberne Folie in fließenden Wellenformationen auf die Leinwand drapiert.
Oft in Kombination mit farbigen transparenten Plexiglasboxen, die traditionell als Schutz für Museumsmöbel verwendet werden, verleiht Reyle ihnen hier einen eigenständigen Objektcharakter im Zusammenspiel mit den Gemälden. Durch solche Boxen schafft er auch eine Art umgekehrte Malerei: Die Plexiglasfilter geben Licht in verschiedenen Farben ab, wodurch das Objekt seine Farbgebung erhält, die dennoch seine Immaterialität als Lichtfarbe beibehält.
Licht spielt eine zentrale Rolle in Reyles Werk: als Neon, Reflexion, Transluzenz und auch in der Fotografie. Dass sein Umgang mit Material in den neueren Werken entspannter wird - dass er Impulsen folgt, anstatt sich tiefer in die Modellierung einzubringen - zeigt sich unter anderem in den oben genannten Laizy Fouls: Das Material ist äußerst opulent und gleichzeitig gespannt genug, um sich von seinen haptischen Qualitäten und seiner Biegsamkeit stimulieren zu lassen. Reyle möchte, dass "das Material mehr Material sein darf" und das charakterisiert auch die Gemälde und Skulpturen in PARADISE.
Reyle zeigt in der Ausstellung bei Koenig auch Werke mit Neon-Elementen, die er in Plexiglasboxen arrangiert. Das bildliche Prinzip der Akkumulation spielt auf Praktiken der Nouveaux Réalistes an, wie zum Beispiel Armand. Die Beleuchtungselemente selbst stammen von gefundenen Objekten; Reyle entdeckte einst Überreste bei Glasbläsern und verwendet seitdem das Material für Gemälde und Installationen.
In Paradise kombiniert er abstrakt-gestische Elemente mit Symbolen und Schriftzügen und arrangiert sie auf Folienfalten in dunkel getönten Plexiglasboxen, um mehrschichtige Lichtgemälde zu schaffen. Die rosafarbene Aufschrift Paradise in einem der Werke gab der Ausstellung ihren Namen.
Eine neue Werkreihe bilden Reyles Fotografien: abstrakte, farbenfrohe Lichtkompositionen, aufgenommen bei Nacht in städtischen Räumen, die zentrale Aspekte seiner Arbeit im fotografischen Medium fortsetzen. Die dynamischen Farbverläufen, die manchmal an Pinselgesten erinnern und lesbare Schriftzüge enthalten, sind eine Art gestische Malerei mit der Kamera, die sich vollständig auf Räume künstlichen Lichts konzentriert, die auch Reyles Neonarbeiten kennzeichnen.
Mit seiner Serie Neue Malerei kommt Reyle dagegen der Haptik der Malerei noch näher. In diesen Werken präsentiert er ein breites Formenvokabular minimalistisch: raue Jutegrundierung neben schillernden Oberflächen, drapierte Folienfalten zusammen mit grob aufgetragener Neonfarbe, ein abtropfender Farbverlauf über pastoser Malerei, Kleckse als Autogramme - fast jedes seiner stilistischen Elemente ist präsent, lesbar wie eine Unterschrift, und dennoch fügt sich alles freier in das größere Ganze ein. Reyle setzt auf großformatigen Arbeiten einen neuen Ton, führt Tiefe und natürliche Farbe ein und kontrastiert archaische Atmosphären mit gesteigerter Künstlichkeit. Dadurch setzt er Dynamiken in Bewegung, die ihm völlig neue Bereiche der Malerei eröffnen und die für den Betrachter neue Erfahrungen versprechen.
Anselm Reyle - Paradise
19. Juni bis 22. Juli 2023
König Galerie / Alexandrinenstraße 118, 10969 Berlin
Dienstag bis Samstag 11-18 Uhr