Herbert List – Das magische Auge


Herbert List: Athen, 1937, Herbert List Estate
© Herbert List Estate / Magnum Photos / Agentur Focus


Es ist die erste internationale Gesamtschau des in Hamburg geborenen Fotografen Herbert List seit mehr als zwei Jahrzehnten und die erste in seiner Heimatstadt. Die Retrospektive im Bucerius Kunst Forum spannt dabei mit über 240 Arbeiten einen Bogen von seinen surrealistischen Werken vor 1945 bis zu den Männerakten und zeigt damit einen einmaligen Überblick zum Œuvre des Magnum Fotografen.

Im Jahr 1903 in Hamburg geboren, ist Herbert List der Sohn einer großbürgerlichen Familie und hat nach seiner Ausbildung viel Zeit auf den elterlichen Plantagen in Süd- und Mittelamerika verbracht. Mit diesen Schwarz-Weiß-Aufnahmen etabliert er sich in der Bohème der Zwischenkriegsjahre. Angeregt durch seine Bekanntschaft mit Andreas Feininger, dem Sohn des Bauhausmeisters und Malers, beschäftigt er sich mit der internationalen Avantgarde. Er überzeugt ihn auch vom Kauf einer neuen Rolleiflex.

List widmet sich in seinen Aufnahmen zunächst Straßenszenen in Hamburg, wie dem Hafen und dem Bahnhof. Er beschäftigt sich insbesondere mit dem Phänomen der Nacht. Themen, für die er später bekannt wird, deuten sich bereits mit geheimnisvollen, surrealen Motiven sowie Porträts junger Männer an. Auch sein spielerischer Umgang mit Licht und Schatten und starken HellDunkel-Kontrasten ist erkennbar.

Herbert List: Ringende Jungen, Ostsee, 1933, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv List © Herbert List Estate / Magnum Photos / Agentur Focus

Zudem findet er auch schnell Anschluss, der britische Autor Stephen Spender nimmt ihn sogar als Vorbild für eine Figur seines Romans The Temple, und List kann es sich leisten, lukrative Aufträge - als Modefotograf - spielerisch zu unterlaufen, indem er im Studio lieber kleine Tableaus inszeniert, als sich für die Mannequins und Kleider zu begeistern. Diese experimentierfreudige und ungezwungene Biografie endet, als in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kommen. List hat jüdische Vorfahren und ist offen schwul und reist zunächst nach Paris und in den Süden.

Herbert List: Haus und Statue der Kleopatra, Delos, 1937, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv List © Herbert List Estate / Magnum Photos / Agentur Focus

Griechenland ist Herbert Lists Sehnsuchts- und Zufluchtsort. Er verweilt dort in den Jahren 1937 bis 1941 immer wieder und kehrt auch nach Kriegsende mehrmals zurück. Die Begeisterung für das alte Griechenland teilt er mit seinen Zeitgenossen, so dass seine Aufnahmen in deutschen sowie französischen Magazinen abgedruckt werden. Für List ist die Kultur der Antike ein Idealbild, da auch die gleichgeschlechtliche Partnerschaft gesellschaftlich akzeptiert war. Er fotografiert vor allem antike Tempel und Skulpturen sowie junge Männer.

Die Aufnahmen spiegeln das Zeitlose des alten Griechenlands, in einer klassizistischen und romantischen Bildsprache, teilweise aber auch an die Neue Sachlichkeit erinnernd. Neben der Kultur inspirierte List auch das besondere Licht in Griechenland. Sein Buchprojekt Licht über Hellas mit Aufnahmen von 1937/38 wird in Folge des Krieges erst 1953 veröffentlicht. Dramatisch setzt er Skulpturenfragmente und die Trümmer der Antike zu einsamen, verlorenen Kulissen zusammen, die aber dezidiert unbelebt bleiben. 

Herbert List: Der Gehörnte, Travestere, Rom, 1953, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv List © Herbert List Estate / Magnum Photos / Agentur Focus

Im Rahmen der Griechenlandbegeisterung lassen seine Modelle durch die Inszenierung ihrer Körper antike Skulpturen assoziieren. Italien bereist List zu unterschiedlichen Zeiten. Während seines Aufenthalts in Rom 1953 wechselt er von der Mittelformatkamera auf eine Leica Kleinbildkamera. Diese ermöglicht ein schnelles, spontanes und unbeobachtetes Fotografieren und führt dazu, dass List seinen Stil verändert. Waren seine Fotografien zuvor eher statisch, hält nun das Flüchtige in Form von Bewegung und Momentaufnahmen Einzug. Darüber hinaus interagiert List stärker mit den Menschen, was in den Straßenszenen in Rom und noch deutlicher in den Aufnahmen der Bewohner Neapels der Jahre 1959 und 1961 sichtbar wird.

In der Nachkriegszeit wird List zum Porträtfotografen der Künstler und Intellektuellen seiner Zeit. Dabei fotografiert er Maler, Schauspieler, Musiker und Schriftsteller wie Pablo Picasso, Marc Chagall, Georges Braque, Marlene Dietrich und Ingeborg Bachmann. Seine Porträts zeigen die Menschen hinter ihrem Werk und offenbaren ein besonderes Vertrauen zwischen dem Fotografen und Porträtierten. Neben Aufnahmen in Paris und in Italien der 1950er Jahre führt ihn ein Auftrag der 1960er Jahre für die Zeitschrift Du in das geteilte Berlin, wo er u.a. John Heartfield, Günter Grass und Helene Weigel einfängt.

Herbert List: Pablo Picasso mit „Chouette dans un intérieur“ (1946), Rue des Grands-Augustins, Paris, 1948, Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv List
© Herbert List Estate / Magnum Photos / Agentur Focus

Nach dem Zweiten Weltkrieg fotografiert List vermehrt das Zeitgeschehen in Form von Reportagen für Zeitschriften und die Tagespresse. Bilder vom zerstörten München erinnern in der Ästhetik an seine Aufnahmen antiker Ruinen in Griechenland. Zudem kann er einige Buchprojekte realisieren. List arbeitet intensiv mit der Illustrierten Heute zusammen, die über die höchste Auflage im amerikanischen Sektor verfügt und wird assoziiertes Mitglied von Magnum.


Herbert List. Das magische Auge
14. Mai bis 11. September 2022

Bucerius Kunst Forum / Alter Wall 12 / 20457 Hamburg
Täglich 11-19 Uhr


Anne Harting

Chefredakteurin und Herausgeberin

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