ArtView mit Rebecca Raue


© Katrin Greiling. www.studiogreiling.com

© Katrin Greiling. www.studiogreiling.com


Als ich Rebecca Raue in ihrem Atelier in Prenzlauer Berg treffe, fühlt sich es wie ein Abtauchen in einen ganz eigenen Kosmos an. Die lichte Remise gehört für mich zu den schönsten Künstler:innenateliers Berlins und das liegt vielleicht auch daran, dass sie in sich die gesamte Bild- und Sprachwelt der Künstlerin inklusive ihrer Person vereint. Wer ihre Bilder kennt, weiß, wovon ich spreche.

All den Werken von Rebecca Raue ist ein starkes Empfinden und Sendungsbewusstsein inne. Man könnte auch von einer künstlerischen Art der Weltüberschreibung sprechen, die entsteht, wenn Rebecca Raue mit knalligen Acrylfarben, krakeligen Schriftzügen und Sèancen von Fotos Leinwände und Papier bearbeitet. Sie collagiert, bemalt und legt immer weitere Schichten darüber, teils voller Botschaften und historischer Bezüge. Dabei besteht der Wunsch, miteinander ins Gespräch zu kommen und mehr über die individuelle Weltsicht der Person gegenüber zu erfahren.

Rebecca Raues Liebe zur Kunst hat auch sicher damit zu tun, dass sie in einem Haus voller Kunst aufgewachsen ist. Sie ist die Tochter von Ursula und Peter Raue. Erstere war viele Jahre Vorsitzende des deutschen Juristinnenbundes. Letzterer ist als Kunstanwalt, Mäzen, Sammler und ehemaliger Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie eine Galionsfigur des Berliner Kunstbetriebes. 

Schon früh sind Arbeiten von Uecker und Graubner für Rebecca Raue Gesprächspartner, lassen sie in eigene Bildgeschichten und -räume eintreten. Bereits als Kind hat sie das Gefühl, dass den Erwachsenen eine Bildfarbe in ihrem Inneren abhanden gekommen zu sein scheint. Ihr sehnlichster Wunsch ist schon damals, sich diese zu bewahren und Antworten auf ihre Fragen zu erhalten.


© Rebecca Raue, Wildheit erwarten / Le Liseur (Pierre-Louis Pierson, 1860s), 2019, Farbzeichnung, Acryl, Buntstift, Kohle, Pastell und Pappe auf Papier auf Alu-Dibond

© Rebecca Raue, Wildheit erwarten / Le Liseur (Pierre-Louis Pierson, 1860s), 2019, Farbzeichnung, Acryl, Buntstift, Kohle, Pastell und Pappe auf Papier auf Alu-Dibond

© Rebecca Raue, The Miracle Is In His Hand / Pierrot Running (Nadar, 1854–55), 2019, Farbzeichnung, Acryl, Buntstift, Kohle, Pastell und Pappe auf Papier auf Alu-Dibond

© Rebecca Raue, The Miracle Is In His Hand / Pierrot Running (Nadar, 1854–55), 2019, Farbzeichnung, Acryl, Buntstift, Kohle, Pastell und Pappe auf Papier auf Alu-Dibond


Mit 12 Jahren sieht Rebecca Raue in New York ihren ersten Rothko, der sie zu Tränen rührt. Schon Jahre zuvor hatte sie während des Familienurlaubs in Basel darauf bestanden, eine Cy Twombly Ausstellung besuchen zu dürfen. Dass Rebecca Raue eine enge künstlerische Verbundenheit zu den beiden Künstlern verspürt, indem sie in ihren Arbeiten Schrift als Form der Zeichnung einsetzt und mit Farbflächen Landschaften akzentuiert, ist nicht zu verkennen. Sie selbst beschreibt Rothko und Twombly als Seelenverwandte.

Eine besondere Faszination übt schon immer die Welt des Theaters auf Raue aus. Mit 13 spielt Rebecca Raue den Mamilius in Shakespeares Wintermärchen. Regisseur ist Luc Bondy. Diese Zeit ist eine Offenbarung für Rebecca Raue. Und sie ist wegweisend. In der „Theaterfamilie“ fühlt sich Rebecca Raue zuhause, diese Erwachsenen kann sie verstehen, fühlt sich ihnen verbunden. Sie nimmt Sprachunterricht bei Marcella Rehm und gemeinsam mit August Diehl bei Eike Steinmetz Schauspielunterricht.

In den Werken von Cy Twombly und Mark Rothko, aber auch in der Kombination von Fotografie und Performance im Werk von Dieter Appelt, den ihre Eltern sammeln, oder Maria Abramović, sowie im Theater trifft Rebecca immer wieder auf Gedanken und Menschen, die träumen und ähnliche Fragen haben wie sie. Ein aber alles verändernder Moment ist, als sie im Bücherregal ihrer Eltern die Autobiographie eines Yogi findet und erkennt, dass auch andere an den Stellen suchen, an denen sie selbst nach Antworten forscht und dazu bewusst in ein anderes Extrem gehen, um aus einem veränderten Blickwinkel die Gesellschaft zu befragen, was Leben ist und warum wir hier sind. - Die verlorene Farbe in der Welt der Erwachsenen.


© Rebecca Raue, Die Götter erkennen, 2019, Farbzeichnung, Acryl, Bleistift, Buntstift, Kohle und Papier auf Papier, 17 x 27 cm, Varanasi Mini

© Rebecca Raue, Die Götter erkennen, 2019, Farbzeichnung, Acryl, Bleistift, Buntstift, Kohle und Papier auf Papier, 17 x 27 cm, Varanasi Mini


Das Wiederfinden und Erhalten dieser Farbe bestimmt noch heute Rebecca Raues Werk. Um ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen, war ihr eigentlich nichts anderes möglich, als selbst Künstlerin zu werden. Sie studiert zunächst an der UdK bei Georg Baselitz und kann es vorerst verhindern, dass er ihren Nachnamen erfährt, will sie sich doch nicht auf Vorschusslorbeeren ausruhen und ihren eigenen Weg gehen. Die Geschichte ist schon fast legendär.

Bei der ersten Studierendenausstellung ist sie dann aber aufgeflogen. Durch den Zahnarzt der Eltern, der zufällig auch der von Baselitz war. Rebecca Raue lacht. „Warum erzählen Sie mir denn nicht, dass Sie die Tochter vom Raue sind?“, habe Baselitz laut durch die Halle gerufen. „Genau deswegen“, antwortete sie. Später wird sie Meisterschülerin bei Rebecca Horn, der feinfühlenden und präzisen Künstlerin, die sie auf so ganz andere Weise inspiriert.

„Ich male, weil ich das ganz starke Empfinden habe, dass wir uns mehr über die individuelle Welten austauschen müssen“, so Rebecca Raue während unseres Gesprächs, „Wir müssen aufhören, nur über die äußere Welt zu sprechen, sondern auch in unsere innere Welt gehen und miteinander in einen individuellen Austausch kommen.“ Sich selbst würde sie deshalb auch nie als Malerin beschreiben. Sie liebt den Austausch mit Farbe, aber eben so sehr Theater, Performance und Collage. Ihre Arbeiten sind für sie kardiokratische Studien, die auf der Herzebene funktionieren.

Diese Gedanken liegen auch dem Konzept von Ephra, Rebecca Raues Herzensprojekt für Kinder, zu Grunde, das besondere Kunstmomente für Kinder schafft und welches wir Ihnen ab jetzt regelmäßig in unseren KidsViews näher vorstellen möchten. Doch zunächst sind wir darauf gespannt, welche Gedanken, Menschen und Orte Rebecca Raue besonders inspirieren… 


© Emma Willard, WILLARD’S MAP OF TIME , TEMPLE OF TIME. New York: A. S. Barnes & Co., 1846

© Emma Willard, WILLARD’S MAP OF TIME , TEMPLE OF TIME. New York: A. S. Barnes & Co., 1846

Historische Landkarten. Kennen Sie die alten Landkarten aus dem 16. Jahrhundert, die Zeitalter veranschaulichen? Wie Hallen werden die verschiedenen Ebenen dargestellt, darüber findet man Bögen, die Gedanken und Strukturen veranschaulichen, die die jeweilige Zeit geprägt haben. Gefühlte Abstraktionen des Lebens. Dieses Mapping von Raum und Zeit ist für Rebecca Raue sehr inspirierend. Wie wäre es, einfach mal Japan in das Zentrum der Welt zu stellen oder was verändert sich, wenn man eine Karte einfach umdreht.

© Rebecca Raue, no memory – dreaming,, 2015 Collage, Acryl, Bleistift, Kohle, Papier und Pappe auf säurefreiem Karton, 30 x 40 cm

© Rebecca Raue, no memory – dreaming,, 2015 Collage, Acryl, Bleistift, Kohle, Papier und Pappe auf säurefreiem Karton, 30 x 40 cm

Yoga. Einmal im Monat zum Neumond meditiert die Künstlerin mit Lieblingsmenschen in ihrem Studio. Vor vielen Jahren hat sie eine Ausbildung zur Kundalini - Lehrerin gemacht. Vor allem inspiriert sie es aber, zusammen mit anderen still zu sein.

© Mathias Völzke

© Mathias Völzke

Gropiusbau. Einer der aktuell interessantesten Ausstellungsorte Berlins, auch dank seiner Direktorin Stephanie Rosentahl und ihrem Team. Die Offenheit und Themen der Ausstellungen sowie die Herangehensweise, um eigene Kunsterfahrungen sammeln zu können und den Ort zu öffnen, sind inspirierend. Ein Lernort mit neuen Impulsen, der auch Schwellen bricht. - Für die kommende Ausstellung von Yayoi Kusama haben Rebecca Raue und Ephra ein interessantes Kinder-Programm entworfen, auf das wir gespannt sein dürfen.

© Erik-Jan_Ouwerkerk

© Erik-Jan_Ouwerkerk

Akademie der Künste am Hanseatenweg. Neben Kindheitserinnerungen verbindet Rebecca Raue als Westberliner Kind ganz viele eigene Bilder mit diesem Ort.: Der Geruch, die Architektur, der Tiergarten vor der Nase und ein Möglichkeitsort. Die schöne Architektur und organische Hülle, durch deren Proportionen und dem Grün drum herum der Mensch sich wohl fühlt und wo selbst die Haptik des leeren Raumes einen Dialog eingeht. Ein richtiger Lieblingsort.

© Frane Skaro

© Frane Skaro

Brücke Museum und Kunsthaus Dahlem. Auch diese beiden Häuser werden von zwei empathischen Frauen geleitet, die die Orte im Wald durch ein aktives Neudenken bespielen. Es ist schön, sich im Sommer in den Garten zu setzen und auf den Wegen zwischen den Häuser zu wandeln. Hier wird der kardiokratische Gedanke bereits gelebt!

@ Studio Berlin

@ Studio Berlin

Studio 4 Berlin. Ausstellungsformate neu zu denken, die eigene Expertise mit der anderer zu verbinden und das nicht nur im analogen, sondern auch im digitalen Raum, das ist die Idee hinter Studio 4 Berlin, dem neuen interdisziplinären Ausstellungskonzept der vier bekannten Berliner Galeristinnen Eva Morawietz, Katharina Maria Raab, Anahita Sadighi und Anne Schwarz. Seit letztem Sommer präsentieren sie mit Studio 4 Berlin einen neuen Ausstellungsort für Kunst, Ästhetik und Design, der ungewöhnliche Wege geht. 

© BBR / Thomas Bruns

© BBR / Thomas Bruns

Neue Nationalgalerie. Natürlich ist dieser Ort für Rebecca Raue mit besonderen Erinnerungen verbunden. Sie war 12 Jahre alt, als dort die große Guggenheim Ausstellung stattfand. Natürlich gab es für sie die besondere Möglichkeit, die Ausstellung auch ohne Besucher besichtigen zu können. Wenn Rebecca Raue darüber spricht, wie sie allein vor Picassos Les Demoiselles d’Avignon saß und ihre Gedanken niederschrieb, ist das mehr als berührend. 

© Rebecca Raue,  Privat

© Rebecca Raue, Privat

Kinderbücher. Schön illustrierte und gezeichnete Kinderbücher knüpfen ähnlich den eigenen Arbeiten von Rebecca Raue an Traum-Meter-Ebenen an. Orte verweisen auf Träume und wecken Assoziationen, die eigene Bilder und Phantasieräume entstehen lassen. Dazu gehören für Rebecca Bücher wie Frederik, der die Farben sammelt, dass gerade aktueller nicht sein könnte oder Der Lindwurm und der Schmetterling von Michael Ende.

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Ephra Unterwegs. Das Programm für Kinder bringt Rebecca Raue in die Ateliers von befreundeten Künstler:innen und ehemaligen Kommiliton:innen. Sie liebt diese Entstehungsorte und genießt die Gespräche, die dort entstehen. Etwas, das seit dem Ende ihres Studiums oft viel zu kurz kommt.

© Rebecca Raue Privat

© Rebecca Raue Privat

Neuköllner Oper. Leere Räume und Theater berühren Rebecca Raue in außergewöhnliche Weise, verströmen sie doch Ruhe und die Möglichkeit von Entstehen und Neuem. Gerade erst hat sie für die Neuköllner Oper das Bühnenbild für Moritz Rinkes Theaterstück Der Mann, der sich Beethoven nannte entworfen. Früher mussten ihre Eltern für sie seine Glosse im Tagesspiegel aufheben, nun durfte sie mit ihm zusammenarbeiten. Die Leichtfüßigkeit seiner Stücke und die dahinterstehende Ernsthaftigkeit und Verletzlichkeit erinnert sie sehr an ihre eigenen Bilder. Grandios der Moment, wenn sich die eigene Vision dann zu einem Bühnenbild zusammengefügt. Leider musste die Premiere wegen Corona auf 2021 verschoben werden. Rebecca Raue freut sich bereits heute auf diesen Tag. 

Kunst öffnet Räume, deswegen könnten wir an dieser Stelle unendlich weitermachen und Rebecca Raue zum Meditieren, in die Neuköllner Oper, in Buchläden und andere inspirierende Orte begleiten. Doch das heben wir uns für unser nächstes ArtView mit ihr auf.



Anne Harting

Chefredakteurin und Herausgeberin

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