Nachts - Clubkultur in München


Marcus Zumbansen, Innenansicht des Ultraschall II, um 2000

Marcus Zumbansen, Innenansicht des Ultraschall II, um 2000


Die Ausstellung Nachts. Clubkultur in Münchner Stadtmuseum nimmt uns mit auf einen Streifzug durch Münchens einstmals reges Nachtleben, von der Nachkriegszeit bis heute. Fotos, atmosphärische Nachbauten und kultige Objekte wie T-Shirts, Eintrittskarten, Plakate und Flyer, begleitet von Filmen und Musik aus verschiedenen Jahrzehnten, machen so 80 Jahre Nachtleben erlebbar. Es ist dies ein liebevoller, manchmal kritischer Blick auf Münchens nächtliches Treiben - lebendige Erinnerungen, nichts wird ausgelassen, nichts geschönt. Legendäre Nächte, Drogen, Sexualität und deren Ausrichtung, der Traum vom Dazugehören. Nachts scheint alles möglich. Die Ausstellung stellt jedoch auch die, heute mehr denn je, drängende Frage nach der Bedeutung dieser Subkultur als sozialem Katalysator.

Der Beginn eines nennenswerten Nachtlebens fand in München nach dem zweiten Weltkrieg, zunächst mit zahlreichen Tanzveranstaltungen, statt. Sogenannte Animier- und Stripclubs ergänzten das nächtliche Leben. Angesiedelt waren diese vor allem im Münchner Hauptbahnhofsviertel, also inmitten in der Stadt. Zur damaligen Zeit gab es in München noch keine Sperrbezirke, wie sie das Lied Skandal im Sperrbezirk der Spider Murphy Gang, in den frühen 80ern beschrieb. Erst 1972, im Zuge der Olympiade, wurde ein strengerer Kurs gegen Prostitution eingeschlagen, der in den 80er Jahren nochmals verschärft wurde, um diese an den Stadtrand zu verbannen. Das ist bis heute so geblieben.

1967 hielt mit dem Blow up die erste Großraumdisco Einzug in München. Der Club machte mit zahllosen Happenings und Drogengeschichten sogar über Landesgrenzen hinaus von sich reden. Hier traten Musikgrößen wie Jimi Hendrix und Pink Floyd auf. Auf den Hippiesound folgte in den 70ern schließlich der international gefeierte, synthesizerlastige Munich Disco Sound, dessen wohl bekannteste Vertreterin Donna Summer mit dem lasziven Superhit I feel Love war. Abgelöst wurde die weichgespülte Disco-Ära Ende der 70er, Anfang 80er von rauhem, harten Punk und die alternative Szene eroberte nun die Clubs. So im berühmt berüchtigten Tanzlokal Größenwahn, dass mit seinem innovativ gemischten Sound nicht unwesentlich zu Münchens Ruf, Weltstadt mit Underground-Herz zu sein, beitrug.


Volker Derlath, Großraumdiskothek 4004, 2003

Volker Derlath, Großraumdiskothek 4004, 2003

Einladungskarte mit Kuvert zu Freddie Mercurys Geburtstagsparty im Hendersons, Müllerstraße, 198

Einladungskarte mit Kuvert zu Freddie Mercurys
Geburtstagsparty im Hendersons, Müllerstraße, 198

stefan moses, Beat-Lokal Blow Up, Elisabethplatz, um 1969 © archiv stefan moses

stefan moses, Beat-Lokal Blow Up, Elisabethplatz,
um 1969 © archiv stefan moses


Die folgenden 90er Jahre standen dann ganz im Zeichen der Türsteher. Anhand von Aussehen, Klamotten oder Verhalten entschieden sie, wer hineindurfte und wer nicht, wer dazu gehörte oder eben nicht, wer würdig war mitzufeiern oder unverrichteter Dinge weiterziehen musste. In dieser Zeit öffnete das Atomic Café seine Pforten, dessen Entrée in der Ausstellung originalgetreu nachgebaut wurde. Das Atomic Café war einer der wichtigsten Clubs in München. Hier wurde zahlreichen Bands eine Bühne geboten, die später internationale Bekanntheit erlangten, wie die Babyshambles oder die Arctic Monkeys. Das Interieur, in warmen Rot- und Orangetönen, orientierte sich an der Farb- und Formenwelt des Space Age Designs der 60er und an Entwürfen des Designers Verner Panton. Ein Erkennungsmerkmal waren die Lavalampen im Chillout-Bereich des Clubs. Diese unterstrichen mit ihrem Raketendesign die Inszenierung des Atom-Zeitalters.

Ebenfalls in den 90er Jahren wurde das Morizz, in den ehemaligen Räumlichkeiten des Tanzlokal Größenwahn aus der Taufe gehoben. Hier traf sich überwiegend die schwule Community, mit teilweise prominenten Gästen wie Hape Kerkeling, Guido Westerwelle, dem kürzlich verstorbenen Alfred Biolek und Schlagersänger Patrick Lindner. Aber auch Frauen waren durchaus gern gesehene Gäste im Morizz.  In den folgenden Jahren verlagerte sich das Nachtleben schließlich immer mehr an den Rand der Stadt, denn es gab kaum noch geeignete, bezahlbare Örtlichkeiten, wo Clubbetrieb möglich gewesen wäre. Mit dem Kunstpark Ost, auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände, oder dem stillgelegten Flughafen Riem, konnte man jedoch auf große Veranstaltungshallen mit vielfältigsten Nutzungsmöglichkeiten zurückgreifen. Allerdings war dies lediglich zur Zwischennutzung vorgesehen. Ein popkulturelles Denkmal wurde damals in Riem gesetzt - hier fand das letzte Live-Konzert von Nirvana statt. Nur wenige Wochen später beging Lead-Sänger Kurt Cobain Selbstmord.

Die 2000er Jahre standen und stehen ganz im Zeichen des Raves. Um der Enge der Stadt und den zahlreichen, auferlegten Einschränkungen zu entfliehen, gibt es nun viele illegale Raves. Unzählige Kollektive organisieren Veranstaltungen in verlassenen Gebäuden, Waldabschnitten, unter Brücken und anderen freien Flächen. Erst etwa zwei Stunden vor Beginn werden den Teilnehmern die Koordinaten der Örtlichkeit über private Verteiler per Handy mitgeteilt, hoch geheim, versteht sich. Zum guten Ton der illegalen Raves gehört es, den Veranstaltungsort genauso zu verlassen, wie man ihn vorgefunden hatte. Wegen fehlender Alkohollizenzen werden Getränke hier nicht verkauft, sondern gegen eine Spende abgegeben. Auch in Corona-Zeiten fanden diese Raves weiterhin statt, die nicht selten von der Polizei aufgelöst werden mussten. 

Der Kampf um Räume und das Überleben der Clubkultur tobt nicht erst seit Corona, er wurde dadurch nur noch verschärft. Schon vor der Pandemie mussten, nicht nur in München, unzählige Clubs schließen. Grund dafür ist der Kampf um kaum vorhandene Räume, Gentrifizierung, zu hohe Mieten und Ärger mit Anwohnern. Einige Clubs konnten sich während Corona mit Streams, Spendenaktionen, privaten Initiativen und mit staatlichen Hilfen kurzfristig über Wasser halten. Die Frage, die diese sehenswerte Ausstellung, neben aller Nostalgie, thematisiert, ist allerdings, wie es nach der Pandemie mit dem Nachtleben weiter gehen wird? Kann die wertvolle Clubkultur überhaupt noch am Leben gehalten werden? Es wäre jedenfalls wünschenswert, denn ohne Clubs wäre unsere Gesellschaft um einen bedeutenden Teil kulturellen Lebens ärmer.


Nachts.Clubkultur in München

noch bis 01. Mai 2022

Stadtmuseum München / St.-Jakobs-Platz 1 / 80331 München
Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr


Sandra Böhm

Sandra Böhm hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und schreibt als freie Autorin für verschiedene Lifestyle-Magazine. Eine weitere Passion ist die Kunst. Als Autorin für PAJO ONE lassen sich beide Vorlieben trefflich miteinander verbinden. 

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Vertrauliche Distanz - Zwischen Intimität und Öffentlichkeit