Vertrauliche Distanz - Zwischen Intimität und Öffentlichkeit

Art

Barbara Niggl Radloff, Die Autofahrt, München, um 1960


Das Münchner Stadtmuseum widmet bis zum 20. März 2022 der Fotografin Barbara Niggl Radloff eine erste große Retrospektive. Niggl Radloff hat sich vor allem mit Porträtfotografien zahlreicher Künstler und Personen des öffentlichen Lebens einen Namen gemacht. Neugierig, dabei immer empathisch, schaffte sie es namhafte Persönlichkeiten, wie Max Frisch, Heinrich Böll, Erich Kästner, Otto Dix, Lale Andersen oder Hannah Arendt echt und nahbar in ihren Porträts wirken zu lassen. Ihr war wichtig, ihr Gegenüber nicht anonym und distanziert darzustellen, sondern es als Individuum in seinem natürlichen Lebensumfeld zu zeigen. 

In Fotografien der frühen 60er Jahren hält Barbara Niggl Radloff vor allem das unbeschwerte Lebensgefühl einer Generation fest, das im direkten Kontrast zu tradierten Geschlechterrollen und Lebensentwürfen stand. Barbara Niggl Radloff und ihr Mann lebten zu dieser Zeit in München Schwabing. Mit seinen zahlreichen Galerien und Tanzlokalen, war Schwabing damals sozusagen der Place to be für Bohemiens.

1966, nach der Geburt ihres dritten Kindes, beschlossen Barbara Niggl Radloff und ihr Mann, der Maler Gunther Radloff, mit den Kindern nach Feldafing am Starnberger See zu ziehen. Weg vom quirligen Trubel Schwabings, raus aufs Land, um sich vorerst ganz der Familie zu widmen und die Kamera für einige Zeit ruhen zu lassen.


Barbara Niggl Radloff, Lale Andersen, München, 1962

Barbara Niggl Radloff, Weißer Pudel an der Leine, München, um 1960

Barbara Niggl Radloff, Günter Grass, Paris, 1958

Barbara Niggl Radloff, Erich Kästner im Herzogpark,
München, 1962


Barbara Niggl Radloffs besondere Wertschätzung für Kinder, brachte sie, damals eher ungewöhnlichen, in Porträts zum Ausdruck. So geschehen beispielsweise mit Carl Zuckmayer und Günter Grass, die sie zusammen mit deren Kindern porträtierte und sie als Familienmenschen zeigte. Auf diese Weise erhielten die Bilder Leichtigkeit, Lebensnähe und Menschlichkeit.

Obwohl Porträts zweifelsohne den Großteil von Barbara Niggl Radloffs Werk bilden, befasste sie sich in ihrer Arbeit auch mit Sozialreportagen und Modefotografie. So arbeitete sie unter anderem für Zeitschriften wie Twen und Brigitte. Nach eigenen Worten war Modefotografie allerdings “bloß eine Möglichkeit zum Geldverdienen”. Allerdings schaffte sie es auch in diesem relativ beengten Rahmen, dank eigenwilliger Inszenierungen und außergewöhnlicher Models die Grenzen der Modefotografie zu überschreiten und diese neu zu definieren. Die Zeitschrift scala international bot ihr zwischen 1961 und 1966 zudem die Möglichkeit, neben Auftragsarbeiten, auch eigene Themenideen zu verwirklichen.

Erst in den 70er Jahren knüpfte Barbara Niggl Radloff mit einer Porträtserie über “Landkreiskünstler” an ihre frühere Tätigkeit als Porträtfotografin an. In der Villa Waldberta in Feldafing, fotografierte sie ab 1986 Stipendiaten der Stadt München, aus den Bereichen Kunst und LiteraturDiese waren in der Villa untergebracht, um über einen gewissen Zeitraum dort leben und arbeiten zu können. Darunter namhafte Persönlichkeiten wie Imre Kertész, Sarah Kirsch, Boris Groys, Boris Michailov, Yehuda Altmann und Ljudmila Ulitzkaja.

2018 gelangte Barbara Niggl Radloffs Nachlass an das Münchner Stadtmuseum, welcher heute über 2500 Abzüge, sowiedas Negativarchiv der Fotografin mit mehr als 50.000 Aufnahmen beinhaltet.


Vertrauliche Distanz - Fotografien von Barbara Niggl Radloff
19. November 2021 bis 20. März 2022

Münchner Stadtmuseum / St.-Jakobs-Platz 1 / 80331 München 
Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr


Sandra Böhm

Sandra Böhm hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und schreibt als freie Autorin für verschiedene Lifestyle-Magazine. Eine weitere Passion ist die Kunst. Als Autorin für PAJO ONE lassen sich beide Vorlieben trefflich miteinander verbinden. 

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