Vladimir und Estragon – Andreas Mühe und Emmanuel Bornstein im Skulpturenforum Hermann Noack
Der Fotograf Andreas Mühe und der Maler Emmanuel Bornstein arbeiten im selben Atelierhaus im Berliner Norden und sind inzwischen auch gute Freunde. Nun realisieren sie im Skulpturenforum Hermann Noack zum ersten Mal eine gemeinsame Ausstellung. Eine „Herzensidee“, die wie es Mühe ausdrückt, beide schon länger verfolgen.
Dafür bringen sie jeweils Teile eines Werkkomplexes aus ihrem aktuellen Schaffen zusammen. Geschichte und ihre Traumata, Leben und Tod, Erinnerung und Vergessen: Themen, die das Sujet von Andreas Mühe und Emmanuel Bornstein prägen. Emmanuel Bornstein, 1986 im französischen Toulouse geboren, studierte Malerei unter anderem an der Universität der Künste. Wie Mühe stammt er aus einer Familie, deren Biografie eng mit dem Theater verknüpft ist. Bei beiden wirkt die deutsche Vergangenheit bis heute nach.
Es ist eine große Ausstellung geworden. Doch ist die Ausstellung alles andere als überladen, denn die beiden Künstler legen reduzierte Spuren aus, die vieles offen lassen, keine Botschaften verkünden, sondern Ansatzpunkte zu ganz heterogenen Reflexionen bieten. Genauso verhält es sich mit Vladimir und Estragon im Ausstellungstitel. Die beiden Landstreicher aus Warten auf Godot von Beckett mögen mancherlei Assoziationen geben, etwa zur Freundschaft der Künstler oder der Herkunft aus Theaterfamilien, die sie verbindet.
Geschichte und Erinnerung sind hier omnipräsent. Mühe führt das vielbeachtete, für viele auch verstörende Projekt Mischpoche weiter, in dem er 2019 im Hamburger Bahnhof seine Familie in gewaltigen fotografischen Tableaus versammelte und dabei die Toten, etwa seinen Vater Ulrich Mühe, in den Bildern als lebensechte Silikonfiguren auftreten ließ. Erstmals zeigt er jetzt Porzellanskulpturen, die in diesem Zusammenhang aus den ursprünglichen Tonvorlagen entstanden.
Der Besucher steht in der zentralen Halle vor neun Rosenthal-Köpfen von Ulrich Mühe: schneeweiß, leicht unterlebensgroß und so eingefroren in ihrem Ausdruck, als sei der Schauspieler schon hundert Jahre tot. Die Büsten werden zu einem Mittel der Distanzierung, das macht einem diese Versammlung identischer Gesichter schlagartig bewusst. Wie Fotografien sind die Porzellanskulpturen zudem potenziell in unendlicher Serie herstellbar, auch das wird zum Thema: das Kunstwerk im Zeichen seiner Reproduzierbarkeit.
Bornstein stellt dem einen Ausschnitt aus seinem anspielungsreichen Porträtzyklus Another Heavenly Day gegenüber, ergänzt durch drei große Gemälde aus der Serie Vaterfigur. Auch bei ihm spielt die Familie eine gewichtige Rolle: sehr direkt, wenn er den Vater oder den Großvater darstellt; meist aber eher indirekt, wenn der Holocaust und die Naziherrschaft anklingen. Explizit ist das aber nie gezeigt. Wie bei Mühe tauchen bestimmte Menschentypen auf, entstehen Stimmungen, bleibt alles mehrdeutig. Bornstein arbeitet nach Fotografien und benennt nie, wen er malt.
Bornsteins Gesichter sind äußerst eindringlich. Er eignet sie sich mit heftigen Pinselstrichen, aufgerissenen Farbflächen, rohen Überblendungen und anderen malerischen Kunstgriffen an, dringt regelrecht in sie ein. „Die Leinwand ist für mich wie eine menschliche Haut“, sagt Bornstein. Wenn er Menschen malt, geht es um die Existenz, um das Leben. Mit ihren Ansätzen, Spuren zu Antworten zu legen, sind Andreas Mühe und Emmanuel Bornstein also gar nicht so verschieden, wie es zunächst scheinen mag.
Vladimir & Estragon / Andreas Mühe und Emmanuel Bornstein
bis 12. Juli 2020
Skulpturenpark Hermann Noack / Am Spreebord 9 / 10589 Berlin
Montag bis Donnerstag 9–16 Uhr, Freitag 9-15 Uhr