Stille Rebellen – Polnische Kunst der Jahrhundertwende


Olga Boznańska
Mädchen mit Chrysanthemen
1894
Öl auf Karton, 88,5 x 69 cm
Nationalmuseum in Krakau
Foto: © The Photographic Studio of the National Museum in Kraków


Was weiß man hierzulande eigentlich über die Kunst unseres östlichen Nachbarn Polen? Leider viel zu wenig, zumal die Qualität der dortigen Sammlungen äußerst beeindruckend ist, wie Roger Diederen, seines Zeichens Direktor der Kunsthalle, findet. Besonders überrascht hat ihn die Künstlergruppe Junges Polen, welche in den 1890er Jahren in Krakau entstand.  Eine neue, junge, kulturelle Bewegung, die Literatur, Theater, Musik und bildende Kunst umfasste und nun bis August in der Ausstellung Stille Rebellen in der Kunsthalle München zu sehen ist.

Um 1900 waren viele polnische Künstler mit Kunstschaffenden aus ganz Europa im Austausch. Häufig studierten sie im europäischen Ausland und stellten dort auch aus. Wichtigste Städte diesbezüglich waren Paris, München, Wien und St. Petersburg, mit ihren unterschiedlichen Kunstströmungen. Kunst war eine Möglichkeit, sowohl geografische als auch politische Grenzen zu überwinden.

Zu jener Zeit war Polen seit 123 Jahren nicht mehr als eigener Staat existent - Preußen, Russland und Österreich hatten es untereinander aufgeteilt. Polen war eine Nation ohne eigenen Staat. Erst 1918 konnten die Polen ihre Unabhängigkeit wiedererlangen. Daher lag es polnischen Künstler zu jener Zeit besonders am Herzen, ihre Sorge um die Zukunft ihres Landes mittels ihrer Werke zum Ausdruck zu bringen.


Ferdynand Ruszczyc
Die Wolke
1902
Öl auf Leinwand, 103,5 x 78 cm
Nationalmuseum in Posen
Foto: © Digital Photography Studio at the National Museum in Poznań

Władysław Jarocki
Helenka aus Poronin
1913
Öl auf Leinwand, 98 x 100 cm
Nationalmuseum in Warschau

Jan Matejko
Stańczyk
1862
Öl auf Leinwand, 88 x 120 cm
Nationalmuseum in Warschau


Kunst sollte das polnische Identitätsgefühl gestärkt, die kulturelle Eigenständigkeit hervorheben und Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützen. So folgten viele junge Maler dem Ruf einer “stillen Revolution” und begeisterten sich für das bäuerliche Leben und die Folklore der Landbevölkerung. Denn gerade die Rückbindung an die bäuerliche Lebenswelt, das ländliche Leben, mit seinen Mythen und Bräuchen, galt als Verkörperung der slawischen Kultur und spielte somit bei der Suche nach der polnischen Identität eine entscheidende Rolle. Die Darstellung heimischer Landschaften war dabei besonders wichtig. 

Ein weiteres wichtiges, einendes Element der polnischen Identität war der katholische Glaube. Unter der andersgläubigen Besatzung, war den Polen zeitweise die freie Religionsausübung untersagt und sich in vielen Werken der Ausstellung als Thema wiederfindet. Gleichzeitig griff man die Strömung des Symbolismus auf. Kunst erhielt einen beinahe religiösen Status, im Zuge dessen das Individuum und dessen Seelenleben aufgewertet wurden.

Stille Rebellen zeigt mit 130 Werken eine umfassende Schau der Blütezeit polnischer Kunst um 1900. Sie vermittelt mit beeindruckenden Landschaftsansichten, magischen Lichtspielen, und Einblicken in die polnische Seele, einen Eindruck des hohen Niveaus, der Originalität und Vielfältigkeit der polnischen Malerei. Stilistisch angesiedelt zwischen Realismus und Impressionismus. Eine wunderbare Schau künstlerischen und politischen Aufbruchs, die leider auch zeigt, wie wenig wir über Kunst jenseits der Oder wissen. 


Stille Rebellen - Polnischer Symbolismus um 1900
25. März bis 07. August 2022

Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung / Theatinerstraße 8 / 80333 München
Täglich 10 - 20 Uhr 


Sandra Böhm

Sandra Böhm hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und schreibt als freie Autorin für verschiedene Lifestyle-Magazine. Eine weitere Passion ist die Kunst. Als Autorin für PAJO ONE lassen sich beide Vorlieben trefflich miteinander verbinden. 

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