Youjin Yi / Figments – Wenn der Boden der Tatsachen die Fantasie beflügelt


Youjin Yi Hatch ©Dirk Tacke


Kräftige Farben und starke Formen, fabelhafte Wesen und imaginäre Landschaften – in ihren Werken vereint die Wahlmünchnerin Youjin Yi südkoreanische Kultur mit verschiedentlich geprägten Kunstverständnissen. Im Kreativquartier Werksviertel-Mitte, auf dem Boden ihres Ateliers im WERK3, sind ihre Bilder zu Figments entstanden.  

Früh morgens startet die gebürtige Südkoreanerin Youjin auf dem Fußboden liegend die Arbeit an den klein- und großformatigen Bildern, die (fast) immer von Wesen mit menschlichen und tierischen Zügen handeln und ein Mit- und Nebeneinander suggerieren. Doch genau wie bei der Darstellung ihrer ambiguen Protagonisten kreiert die Südkoreanerin auch auf der eigentlichen Leinwand Tiefe und verschiedene Ebenen.

So verwendet Youjin für den Großteil ihrer Kunst Hanji, auf traditionelle Weise, in Korea hergestelltes Papier. Sie bezieht es vor Ort vom „Hanji-Händler“ ihres Vertrauens und zieht es dann auf Leinwand auf. Mit abweichender Intensität, von feiner Kontur bis zum großzügigen Pinselstrich, und in verschiedenen Farben aufgetragen, entlocken Öl, Acryl, Ölpastell, Graphit, Kohle und Buntstift dem Papier jedes Mal eine neue Wirkung. Dabei scheinen Schwarz und Blau häufig zu dominieren.


Youjin Yi Untitled ©Dirk Tacke

Youjin Yi Schwalbe ©Dirk Tacke

Youjin Yi Scharf ©Dirk Tacke

Youjin Yi Untitled ©Dirk Tacke


Die Räumlichkeit der Bilder scheint der subjektiven Wahrnehmung des Betrachters zu unterliegen – was auf den ersten Blick im Vordergrund steht, bekommt bei zweiter Betrachtung eine andere Dimension. Diesen Effekt erreicht die Künstlerin durch verschiedene Herangehensweisen: durch teils undefinierbare Größenverhältnisse wie bei Figmente, durch Einblicke in Welten, die sich durch ein „Ovales Loch“ eröffnen als auch durch ihren Mut zur Papierleere, die dem zentralen Motiv die absolute Aufmerksamkeit schenkt (Hatch). Figments sind Wesen – mal deutlich in Tierform als Schwalbe oder Schaf zu erkennen, mal durch Gliedmaßen als menschliches Geschöpf zu identifizieren. Unter Schirmen sitzend oder von einem Flügel- oder Federkleid umhüllt sind die Grenzen zwischen den Kreaturen fließend. 

Youjin Yis kontrastreiche Szenerien, die zwischen Malerei und Zeichnung wechseln, verweisen auf ihre eigene Vita. Von Flora und Fauna umgeben ist die Künstlerin in Südkorea aufgewachsen. In ihren Bildern zollt sie der einheimischen Tierwelt Tribut – um gleichzeitig ihre Liebe zu als auch ihren Respekt vor den Wildtieren auszudrücken, bedient sie sich den Themen Nähe und Distanz. Ihr kreativer Ausdruck ist gleichermaßen geprägt von klassischer koreanischer Malerei, die ihr bei Park Dae-Sung an der Sejong University Seoul vermittelt wurde, als auch von ihrem Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Berlin bei Leiko Ikemura und in München in der Meisterklasse von Prof. Günther Förg.

Die wohl persönlichsten Werke der Ausstellung, die einen Einblick in die Vergangenheit der studierten Malerin geben, sind Weiß Affe und Oma. Hier referiert Youjin auf den Alltag in ihrem Heimatland, das sie mit 20 Jahren verließ, um sich in Deutschland der Kunst zu widmen. Präzise und dennoch mit spielerischer Freude am Experimentieren entstehen ihre Werke – hinsichtlich der Bildbezeichnung bleibt die Künstlerin allerdings eher sachlich.

Mit einer Ausnahme: Der Titel Scharf, der das Geschmacksempfinden bei undeutlicher Aussprache in ein Tier verwandeln. Eine weitere Verwandlung, die allerdings sämtliche Bilder betritt, findet bei der Präsentation statt: Denn erst dann wird das Werk vom Boden in eine vertikale Position aufgestellt und der Perspektivenwechsel, von der Ebene der Kunstschaffenden zur Wahrnehmung des Betrachters, vorgenommen. In dem Moment, in dem sich diese Blicke treffen, entfaltet Youjins Kunst ihre wahre Dimension  – und lässt Raum für Interpretationen.


Youjin Yi - Figments
28. Januar bis 5. März 2022

Galerie Britta Rettberg /Gabelsbergerstr. 51 / 80333 München
Dienstag bis Freitag 11 – 18 Uhr, Samstag nach Vereinbarung 


Sabrina Hasenbein

Für PAJO ONE erkundet Sabrina Hasenbein ihre Heimatstadt München am liebsten durch den künstlerischen, kulturellen und kulinarischen Blickwinkel. Allerdings ist die freie Autorin auch gerne überall anders auf der Welt unterwegs - bevorzugt dort, wo sich Meer und Metropole treffen.



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